Zukunftsdebatte der Spinelli Gruppe in Berlin

Wie kann das europäische Projekt neu durchstarten? Über diese Frage diskutierten am 7. Juli Europaabgeordnete, Mitglieder des Bundestags, Wissenschaftler und Bürger bei einer Debatte der Spinelli Gruppe in Berlin. Viele der Podiumsgäste kamen aus den Reihen der Europa-Union.

Podium mit den Europaabgeordneten Jo Leinen und Danuta Hübner, EUD-Generalsekretär Christian Moos, und den Bundestagsabgeordneten Manuel Sarrazin und Norbert Spinrath (v.l.n.r). Foto: Christine Krüger

Das erste Panel, moderiert von Joachim Fritz-Vannahme, widmete sich der Frage, wie die Herausforderungen in den Bereichen Währungspolitik, Schengen und Sicherheit europäisch gelöst werden können. Auch die Ablehnung der EU durch einen Teil der Bevölkerung war Thema.

„Die Bürger erwarten von der europäischen Politik Handlungsfähigkeit“, sagte UEF-Präsident Elmar Brok. Das Problem liege jedoch nicht bei der Kommission, sondern bei den nationalen Regierungen. Diese verweigerten sich und lasteten die mangelnde Handlungsfähigkeit der EU an. So kritisierte Brok, dass die Mitgliedstaaten im Rat das Mehrheitswahlrecht nicht anwendeten. Stattdessen würden die schwierigen Entscheidungen dem Europäischen Rat überlassen, der nach wie vor einstimmig entscheide. Dort käme es dann zu faulen Kompromissen. Diese Praxis stelle einen Bruch des Vertrages dar.

„Es ist zu kurz gegriffen, dem Neoliberalismus oder der Austeritätspolitik die Schuld zu geben“, sagte Annalena Baerbock mit Blick auf die Ablehnung der EU. Sie sieht den Angriffspunkt für eine Überwindung der EU-Verdrossenheit weniger in der Reform der Institutionen, als in der Verbesserung der allgemeinen Lage der Menschen. Populisten und Unzufriedene nähmen die EU in Haftung, dabei liege der Schlüssel in den Nationalstaaten. Die Gesellschaften sei gespalten und viele Menschen fühlten sich abgehängt. Diese soziale Spaltung könne nur in den Nationalstaaten angegangen werden. Die europäische Ebene habe im sozialen Bereich nur wenige Kompetenzen und dürfe daher nicht leichtfertig Versprechungen machen.

Mercedes Bresso forderte einen offenen Dialog mit den Bürgern über die Zukunft der EU. Das Europäische Parlament könne einen neuen Konvent einberufen, über dessen Ergebnisse in einem europaweiten Referendum abgestimmt werden müsse.

„Wir müssen unsere Leidenschaft für Europa vermitteln“, unterstrich Lars Castellucci. Dies gelte für nationale Parlamentarier ebenso wie für die jungen Leute. Nach der Erfahrung des britischen Referendums müssten gerade junge Menschen ihren Peers sagen: „Wenn ihr nicht mitentscheidet, wird für Euch entschieden, und das ist nicht in eurem Sinne.“

Auch Ingrid Arndt-Brauer sah die junge Generation in der Pflicht. Für die Jugend seien Begegnung und Austausch selbstverständlich. Deshalb sei sie auch der EU gegenüber positiver eingestellt, wie das britische Referendum bewiesen habe. Auch in anderen Bereichen zeige sich, dass es Toleranz nur dort gebe, wo sie auch praktiziert würde. „Wir müssen dafür sorgen, dass man sich mehr kennenlernt. Die größten Probleme haben wir da, wo wir uns nicht kennen“, so Arndt-Brauer.

„Der Ausgang des britischen Referendums ist ein Betrug gegenüber der jungen Generation“, sagte Gunther Krichbaum. Die Jugen, die ihre Chancen in Europa suchen, werden um die Früchte einer Mitgliedschaft ihres Landes in der EU gebracht. „Die Verunsicherung der Menschen ist mit Händen zu greifen“, so Krichbaum. Es brauche wieder neue Begeisterung dafür, was die Menschen in Europa verbinde.

Über die Frage, welche Schritte nach dem britischen EU-Referendum unternommen werden müssten, sprach Christian Moos, Generalsekretär der Europa-Union Deutschland, mit den Gästen des zweiten Panels.  

„Die Menschen wollen Leadership und die bekommen sie nicht durch Europa“, sagte Jo Leinen. Populisten versprächen, dass die nationale Ebene Probleme alleine lösen könne. Seiner Meinung gehe die Krise der EU aber viel tiefer. „Es ist ein Unding, dass nach 60 Jahren das direkt gewählte Europäische Parlament keine Initiativrecht hat und keine Untersuchungsausschüsse einsetzen kann“, sagte Leinen. Er wünsche sich eine EU-Regierung und ein Zweikammersystem und forderte einen neuen europäischen Konvent. „Der Konvent ist der einzige Ort, an dem aus Debatten auch Schlussfolgerungen entstehen“, so Leinen.

„Die EU hat viel von ihrem Vertrauen verloren“, warnte auch Danuta Hübner. Sie sieht auf die EU noch härtere Zeiten zukommen. Daher sei es wichtig, den Zusammenhalt zu stärken, sich Zeit für Reflektion zu nehmen, dabei aber gleichzeitig zu handeln. „Europa verändert sich nicht, wenn wir nicht den politischen Willen dafür aufbringen“, so Hübner.

Manuel Sarrazin sieht in Großbritannien ein großes politisches Vakuum, das auch durch eine behobene Regierungskrise nicht gelöst würde. „Ohne die Briten wird nichts besser“, ist Sarrazin auch mit Blick auf die EU überzeugt. Es gebe nur mehr oder weniger schlechte Szenarien. Er hält es für wichtig, dass nicht der Europäische Rat, sondern die Kommission die Verhandlungen mit Großbritannien im gemeinsamen europäischen Interesse führe. Manuel Sarrazin sieht in allen Gesellschaften eine Polarisierung für oder gegen Europa. Wichtig sei, mit Argrumenten auf die andere Seite einzuwirken und Brücken nicht abzubrechen.

Norbert Spinrath sieht die Gefahr, dass nach dem britischen Referendum Rechtspopulisten in Europa aus der emotionalen Situation Kapital zu schlagen versuchten. Deshalb hält er eine Debatte über Europa für sehr wichtig und möchte sie auch vor der Bundestagswahl führen. „Der Wahlkampf könnte ein Aufbruch sein in eine Diskussion, diese EU so zu gestalten, wie wir es gerne hätten. Wir brauchen ein soziales Europa“, so Spinrath.

Mathias Jopp vom Institut für Europäische Politik plädierte dafür, schon vor einem möglichen Konvent die aktuellen Herausforderungen anzugehen, sei es im Bereich der Flüchtlings-, Außen- oder Währungspolitik. Es gebe viele Möglichkeiten mit dem Instrument der verstärkten Zusammenarbeit und der strukturierten Zusammenarbeit. Diese müssten stärker genutzt werden. Gleichzeitig müsse der tiefliegenden Verunsicherung in der Gesellschaft begegnet werden. Populisten könne man entlarven, indem man sie in der Diskussion mit ihren eigenen Argumenten vorführe. Gleichzeig sei es wichtig, für Europa zu werden.

Die Spinelli Gruppe veranstaltete die Berliner Debatte in Zusammenarbeit mit der Union Europäischer Föderalisten, der Europa-Union Deutschland, dem Institut für Europäische Politik und der Internationalen Europäischen Bewegung. Die Veranstaltung ist Teil einer europaweiten Reihe, mit der die Spinelli Gruppe in den Hauptstädten der EU-Mitgliedstaaten zu Gast ist. Weitere Debatten finden in Rom, Paris, Wien und Warschau statt.