Unter der Ägide der Ministerpräsidentin Beata Szyd?o hat die neue Regierung binnen kürzester Frist dem polnischen Verfassungsgericht hinderliche Handlungsvorgaben aufgezwungen und gesetzwidrig eine Entscheidung des Gerichts zur verfassungswidrigen Wahl dreier neuer Richter nicht veröffentlicht. Dieser offene Rechtsbruch hat eine Verfassungskrise bei vehementem Protest der parlamentarischen Opposition und Teilen der Zivilgesellschaft ausgelöst. Zur Organisation des Widerstandes hat sich ein binnen kurzer Frist landesweit Demonstrationen organisierendes Komitee zur Verteidigung der Demokratie konstituiert. Dies geht auf einen online veröffentlichten Aufruf des Publizisten und Bürgerrechtlers Krzysztof ?ozi?ski zurück, der zur Gründung einer zivilgesellschaftlichen Plattform nach dem Vorbild oppositioneller Bewegungen im damaligen kommunistischen Polen aufrief.
Zu weiteren Sorgen um die liberale Demokratie hat im In- und Ausland das jüngst im Eilverfahren verabschiedete „kleine Mediengesetz“ geführt. Denn gezielte Kontrolle der öffentlichen Medien durch die Regierung kann zu einer Allianz führen, die das demokratische System gefährdet. Zudem herrscht im Kulturbetrieb große Verunsicherung, nachdem die PiS-Regierung die im Wahlkampf gepflegte Sprache des sozialen Ausgleichs aufgegeben hat und wieder dem Kulturkampf gegen die bisherigen Eliten frönt, denen sie noch immer – aberwitzig – Kumpanei mit dem alten kommunistischen Regime vorwirft.
In Reaktion auf die vorstehend nur skizzierten Entwicklungen hat die EU-Kommission im Januar entschieden, den erst 2014 eingeführten Mechanismus eines geordneten Rechtsstaatsdialogs einzuleiten. Nach einer aus der Beantwortung der kritischen Anfragen gewonnenen Sachstandsanalyse kann die Kommission Handlungsempfehlungen an den Mitgliedsstaat aussprechen. Dann, wenn der Mitgliedsstaat diesen nicht folgt und weiter die Gefahr systembedingter Gefährdungen des Rechtsstaats gesehen wird, besteht die Möglichkeit der Einleitung eines sogenannten Präventivverfahrens.
Da am Verhandlungstisch des Rates, auch andere Regierungen mit autoritären Tendenzen – Ungarn ist nur ein Beispiel – sitzen, bleiben die im Raum stehenden und einstimmig zu beschließenden Instrumente wie der Stimmrechtsentzug oder Finanzsperren unrealistisch. Aber: nur der konstruktive und problemlösungsorientierte Dialog hilft weiter. Die Kommission ist mehr denn je die Wächterin der Verträge und hat den Mitgliedstaaten den europäischen Wertekanon, zu dem die Gewaltenteilung und die Rechtsstaatlichkeit sowie insbesondere die Meinungsfreiheit unzweifelhaft gehören, zu vermitteln. Ihre vom Vizekommissionspräsidenten Frans Timmermanns im Europäischen Parlament erläuterten Argumente machen denn auch klar, dass es ihr nicht um die (antieuropäische) politische Orientierung der polnischen Regierung geht, sondern schlicht um den Rechtsstaat.
Demgegenüber sind Überspitzungen fehl am Platz. Gerade deutsche Politiker sollten sich bewusst sein, dass leichtfertige Vergleiche des polnischen mit russischem Regierungshandeln geeignet sind, sachlich gebotene Kritik zu desavouieren und so indirekt die sich organisierende polnische Zivilgesellschaft zu schwächen. Polen ist eben nicht Russland, das die in und nach 1989 gewonnene Souveränität seiner Nachbarländer in Frage stellt und durch oligarchische Strukturen sowie eine ineffiziente Verwaltung und Korruption geprägt ist. Demnach ist Polens Regierung nur einer von vielen Testfällen für Europa.
Vor 25 Jahren haben die Bundesrepublik Deutschland und Polen ihren Vertrag über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit geschlossen. Im seinem Jubiläumsjahr bietet dieser vielfältige Chancen, Besorgnisse und Irritationen aus dem Weg zu räumen, sich der engen Freundschaft über Begegnungen auf der Regierungsebene und im Rahmen von kommunalen Partnerschaften und Begegnungen der Zivilgesellschaften neu zu versichern.
Harm Adam
Mitglied des Präsidiums der Europa-Union Deutschland und Mitglied des Vorstandes der Deutsch-Polnischen Gesellschaft Bundesverband