Podiumsdiskussion „Europa vor der Wahl“ am 12. Mai in Berlin

Welchen Themen muss sich das neue Europäische Parlament nach der Wahl annehmen? Was ist 2014 anders und warum lohnt es sich überhaupt, wählen zu gehen? Diese und weitere Fragen standen im Zentrum der gestrigen Podiumsdiskussion von Deutscher Gesellschaft, Deutsch-Französischer Gesellschaft und Europa-Union Berlin.

Marie-Luise Löper, Michael Vollprecht, Dr. Claire Demesmay, Christian Moos und Oliver Hänsgen (v.l.) © Europa-Union Deutschland

Die Podiumsgäste sahen viel Handlungsbedarf für das neue Europäische Parlament und bemerkten im aktuellen Wahlkampf deutliche Veränderungen zu den vorangegangenen Wahlen.

Michael Vollprecht, stellv. Leiter der politischen Abteilung der Vertretung der Europäischen Kommission in Deutschland, hält den aktuellen Wahlkampf nicht zuletzt aufgrund der europaweiten Spitzenkandidaten für das Kommissionspräsidentenamt für den interessantesten seit der Direktwahl des Europäischen Parlaments 1979.

Auf die Frage der Moderatorin Dr. Claire Demesmay, Programmleiterin Frankreich bei der DGAP, nach den großen politischen Baustellen, die das nächste Europäische Parlament zu bewältigen habe, wurden das transatlantische Freihandelsabkommen und die Schaffung eines sozialen Europas als zwei entscheidende Herausforderungen identifiziert.

Marie-Luise Löper, Leiterin der Abteilung Bundes- und Europaangelegenheiten der Senatskanzlei Berlin, berichtete von den Bürgerforen, die in den Berliner Bezirken veranstalteten wurden. Bei allen sei deutlich geworden, dass sich die Menschen ein soziales Europa mit guten EU-weiten Standards wünschten. Sie wollten nicht nur ein Europa des Wettbewerbs, sondern ein Europa, das für sie als Bürger da sei.

Oliver Hänsgen, Referent für Öffentlichkeitsarbeit beim Informationsbüro des Europäischen Parlaments in Deutschland, teilte den Eindruck, dass viele Bürgerinnen und Bürger eine sozialere EU forderten. Ihnen sei bewusst, dass die EU als Wirtschaftsgemeinschaft gestartet sei, die politische und soziale Dimension heute aber noch hinterherhinke. Wie sich diese Bereiche weiter entwickelten, hinge auch davon ab, welche Parteien ins Europäische Parlament gewählt würden. Dies müssten auch die Parteien selbst stärker vermitteln.

Christian Moos, Generalsekretär der Europa-Union Deutschland, nimmt den Wunsch der Menschen nach einem sozialen Europa sehr ernst. In einigen Bereichen passiere bereits eine Menge. So sei die Arbeit des Europäischen Sozialfonds sehr erfolgreich. Auch im Arbeitsschutz habe die EU wichtige Gesetze verabschiedet. Die Mitgliedstaaten spielten oft aber kein ganz ehrliches Spiel. Viele Politikbereiche, in denen Sozialpolitik gestaltet werden könne, lägen noch auf nationalstaatlicher Ebene, so beispielsweise das Steuer-, Arbeitsmarkt- und Sozialversicherungsrecht. Man könne der EU nicht anlasten, bestimmte soziale Probleme nicht zu lösen, wenn sie gar nicht über die dazu nötigen Instrumente verfüge. Die Europa-Union Deutschland setze sich für eine Angleichung der Lebensverhältnisse auf hohem Niveau in Europa ein.

Als zweites großes Thema machte Oliver Hänsgen das Freihandelsabkommen mit den USA aus. Hier bestünden in der Bevölkerung Ängste, die ernst genommen werden müssten. Das Europäische Parlament könne mitentscheiden, ob das Freihandelsabkommen zustande komme oder nicht. Deshalb sei es wichtig, dass sich die Bürger bereits jetzt informierten, wie sich die Parteien dazu positionierten, und dies bei ihrer Wahl berücksichtigten. Seiner Meinung habe TTIP das Potential eine länderübergreifende mediale Öffentlichkeit herzustellen, die auch in der Lage sei, Druck auf die Politik auszuüben.

Michael Vollprecht wies darauf hin, dass die Europäische Kommission ihr Verhandlungsmandat veröffentlichen wollte, was am Widerstand der Mitgliedstaaten gescheitert sei. Die Podiumsgäste waren sich einig, dass in der Debatte um TTIP nur mehr Transparenz das Vertrauen der Bevölkerung zurückgewinnen könne.

Marie-Luise Löper machte bei den Berliner Bürgerforen auch die Erfahrung, dass sich die Menschen vor allem dafür interessierten, wie Europa ihr Leben im Alltag beeinflusse und erleichtere. Christian Moos zeigte Verständnis dafür, dass die Bürger vor allem alltägliche Sorgen beschäftigten, warnte aber davor, sich in der Europapolitik in kleinen Alltagsthemen zu verlieren. Vielmehr benötige man Leuchtturmthemen, die in Europa gemeinsam anzupacken seien. Er forderte, dass Themen wie Energiesicherheit, Innovation und eine europäische Verteidigungsunion auf die politische Tagesordnung gesetzt werden müssten.

Abschließend nannten die Podiumsgäste ihre Motivation, sich an der Europawahl zu beteiligen. „Wer nicht wählt, bewirkt nichts“, sagte Marie-Luise Löper. Das Recht zu wählen sei heutzutage noch nicht selbstverständlich. An vielen Orten in der Welt kämpften Menschen noch dafür und müssten ihren Einsatz oft sogar mit ihrer Freiheit bezahlen. Für Michael Vollprecht steht die EU in erster Linie für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Von einer erhöhten Wahlbeteiligung erhofft er sich mehr Legitimation für die Europa-Union. Christian Moos findet, es sei doch für die Bürgerinnen und Bürger schön, auf vier Ebenen mitentscheiden zu können. Politik, Demokratie und Mitbestimmung fänden in der Kommune, in der Region, auf nationalem Niveau wie auf europäischer Ebene statt. Moos zitierte Bundestagspräsdent Norbert Lammert, Europa sei ein Prototyp, an dem wir bauten, und alle könnten sagen, sie seien dabei gewesen. Oliver Hänsgen wird zur Wahl gehen, weil er nicht andere für sich entscheiden lassen möchte. Auch er hält das Wahlrecht für ein großes Privileg, das in der Welt nicht selbstverständlich sei.