Die Aufzeichnung des Online-Bürgerdialogs vom 28. September 2022 ist hier abrufbar.
Italien hat gewählt und das Ergebnis der Parlamentswahl am 25. September ist leider wie von proeuropäischen Kräften seit Wochen befürchtet ausgefallen. Die rechtsnationale Politikerin Giorgia Meloni mit ihrer Partei Fratelli d’Italia hat sich als stärkste Kraft in beiden Parlamentskammern durchgesetzt. Wird das Rechtsbündnis um Fratelli d’Italia, Matteo Salvinis Lega sowie Forza Italia von Silvio Berlusconi die am weitesten rechtsstehende Regierung Italiens seit dem Zweiten Weltkrieg bilden? Und welche Auswirkungen hätte eine von Giorgia Meloni angeführte Regierung für die EU und die Europawahl 2024? Diese Fragen prägten den Online-Bürgerdialog der Europa-Union Deutschland vom 28. September.
Zu Beginn ergab ein Meinungsbild unter den Teilnehmenden, dass Regungen und Emotionen wie Sorge und Angst um Europa die häufigste Reaktion auf das Wahlergebnis waren. Auf seine Reaktion zum Wahlergebnis angesprochen, antwortete Axel Schäfer: „Es war eine erwartete Enttäuschung.“ Allerdings seien zwei Entwicklungen „besonders schmerzhaft“: die für italienische Verhältnisse sehr niedrige Wahlbeteiligung von 64 Prozent sowie die Tatsache, dass mit Forza Italia eine Partei der Europäischen Volkspartei mit der Lega und Fratelli d’Italia zusammenarbeiten will. Julia Unterberger resümierte, dass Giorgia Meloni und Fratelli d’Italia davon profitiert hätten, dass sie an der Regierung Mario Draghis nicht beteiligt waren und als klare Opposition auftreten konnten. Axel Schäfer stellte daraufhin klar, dass Fratelli d’Italia nicht als rechtskonservativ, sondern als postfaschistisch zu bezeichnen sei, da gültige Regeln wie Minderheitenschutz infrage gestellt würden. Laura Garavini verwies darauf, dass sich Meloni nie vom Faschismus distanziert habe. Auch der Wahlslogan „Dio, Famiglia, Patria“ (Gott, Familie, Vaterland) von Fratelli d’Italia sei schon der Leitspruch zu Zeiten Benito Mussolinis gewesen. Unterschiedlicher Meinung waren Julia Unterberger und Axel Schäfer in der Frage, wie lange eine Regierung des Rechtsbündnisses Bestand haben könnte. Während Julia Unterberger ein frühzeitiges Zerbrechen des Rechtsbündnisses für durchaus wahrscheinlich hielt, warnte Axel Schäfer davor, Giorgia Meloni und Fratelli d’Italia zu unterschätzen. Julia Unterberger vertrat zudem die Meinung, dass die Fünf-Sterne-Bewegung nach vielen Parteiaustritten durchaus ein potenzieller Bündnispartner für ein Mitte-Links-Bündnis sein könnte, während Axel Schäfer und Laura Garavini vor allem darauf aufmerksam machten, dass die Fünf-Sterne-Bewegung maßgeblich zum Sturz der Regierung Draghis beigetragen habe.
Doch wie geht es jetzt weiter in Italien? Bis Mitte Oktober werden sich die beiden neu gewählten Parlamentskammern konstituieren, bevor Staatspräsident Sergio Mattarella die Beratungen über die Bildung einer neuen Regierung eröffnen wird. Nach den Beratungen u.a. mit den Vorsitzenden der wichtigsten Parteien wird dann eine Persönlichkeit mit der Regierungsbildung beauftragt. Angesichts der in beiden Kammern vorhandenen deutlichen Mehrheit des Rechtsbündnisses wäre es eine Überraschung, wenn nicht Giorgia Meloni mit der Bildung einer neuen Regierung betraut werden sollte.
Laura Garavini, Axel Schäfer und Julia Unterberger äußerten sich im Rahmen des digitalen Bürgerdialogs abschließend auch noch zu den Auswirkungen der Parlamentswahl in Italien auf die EU. Bei den Sanktionen gegenüber Russland aufgrund des Angriffskrieges in der Ukraine seien – laut Garavini – eher keine Änderungen zu erwarten, da Meloni sich bereits frühzeitig auf Seiten der Ukraine positioniert habe. Schäfer legte vor allem Wert darauf, dass im Bereich der Rechtsstaatlichkeit in Italien aufgrund seiner traditionell proeuropäischen Haltung und des starken Justizsystems eher weniger Auswirkungen zu erwarten seien. Julia Unterberger war sich hingegen sicher, dass die Europäische Union als Feindbild fungieren werde, um institutionelle Reformen in der EU zu erschweren. Einigkeit bestand bei allen drei Gästen darin, dass im Bereich der Asyl- und Migrationspolitik große Auswirkungen auf die EU zukommen würden. Auch die Teilnehmenden des Bürgerdialogs sahen die größten Auswirkungen auf die EU in den Bereichen Migration und institutionelle Reformen zukommen.
Abschließend wurde die Frage aufgegriffen, ob die Parlamentswahl in Italien als Vorbote für die Europawahl 2024 verstanden werden könne: Julia Unterberger hob dabei die Besonderheiten des italienischen Parteiensystems – u.a. die Fünf-Sterne-Bewegung – hervor, die nicht übertragbar seien. Laura Garavini formulierte die Hoffnung, dass die italienische Wählerschaft 2024 nach knapp zwei Jahren eines voraussichtlichen Rechtsbündnisses an der Regierung ein proeuropäischeres Signal nach Brüssel senden werde. Axel Schäfer stellte ebenfalls darauf ab, dass die Europawahl immer noch national, also in den jeweiligen Mitgliedstaaten, entschieden werde. Für Italien gilt es nun jedoch vorerst, die Beratungen rund um die Regierungsbildung abzuwarten und anschließend zu beobachten, wie lange sich eine Koalition aus Fratelli d’Italia, Lega und Forza Italia auf der Regierungsbank behaupten kann.
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Ein breiter und offener Dialog ist uns wichtig, daher arbeiten wir mit einer Vielzahl von Partnern aus Politik und Zivilgesellschaft zusammen. Der Online-Bürgerdialog wurde als Teil des Bürgerdialogprojekts „Europa – Wir müssen reden!“ in Kooperation mit dem Institut für Europäische Politik veranstaltet und durch das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung gefördert. Die Moderation übernahm Dr. Manuel Müller, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Duisburg-Essen und Betreiber des Blogs „Der (europäische) Föderalist“.
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