Offener Brief der JEF Deutschland:
Ein Appell an die Bundesregierung
Der 16. September 2024 markiert einen neuen Tiefpunkt der deutschen Europapolitik. Mit der Einführung von Grenzkontrollen an sämtlichen deutschen Außengrenzen begibt sich die Bundesregierung in die unmittelbare Gesellschaft antieuropäischer Akteure, statt ihrer europäischen Vorreiterstellung und der damit einhergehenden Verantwortung gerecht zu werden. Damit greift sie die Freizügigkeit als eine der größten Errungenschaften der Europäischen Union an.
Als junge Generation genießen wir das Privileg, in einem Europa aufgewachsen zu sein, das keine Grenzen kennt. Unser Europa baut Brücken, keine Grenzzäune. Unser Europa steht für Solidarität und Zusammenarbeit, für gemeinsame Lösungen statt nationaler Alleingänge. Vor fast 75 Jahren rissen Studierende Schlagbäume nieder, um genau dieses Europa zu ermöglichen.
Wir akzeptieren nicht, dass die Bundesregierung diese Errungenschaften für populistische Symbolpolitik opfert. Grenzkontrollen sollen darüber hinwegtäuschen, dass es an tatsächlichem Handlungswillen und Handlungsfähigkeit fehlt und von jahrelangen politischen Versäumnissen ablenken. Mehr noch, indem Grenzkontrollen reflexartig und vorschnell als vermeintliche Lösungen präsentiert werden, wird die Entwicklung nachhaltiger und ganzheitlicher Lösungen verhindert. Damit begibt sich die Bundesregierung unter Applaus von Geert Wilders und Viktor Orban auf ein Niveau mit Populist:innen auf nationaler wie internationaler Ebene, verleiht Nationalismus und Rechtspopulismus Auftrieb und befeuert Spannungen und Ressentiments. Dass der Bundesregierung als Antwort auf die jüngsten Wahlergebnisse in Thüringen und Sachsen nichts anderes einfällt, als der AfD nachzueifern, kommt einer Kapitulation gleich.
Durch die Einführung der Grenzkontrollen setzt die Bundesregierung sich über europäisches Recht, insbesondere den Schengener Grenzkodex, hinweg, sowie über das Grundgesetz. Der Schengener Grenzkodex statuiert klar, dass Grenzkontrollen nur „unter außergewöhnlichen Umständen“ als „letztes Mittel“ und mit klar definiertem Anlass zulässig sind. Die pauschale Anordnung der Bundesregierung wird dem nicht gerecht. Auch ein Umweg über eine Notlage im Sinne des Art. 72 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union ist rechtlich äußerst zweifelhaft. Ebenso wenig wird die Bundesregierung ihrer Pflicht aus Art. 23 Abs. 1 GG gerecht, an der Verwirklichung eines vereinten Europa mitzuwirken, sondern stellt sich dem entgegen.
Darüber hinaus tritt die Bundesregierung die im eigenen Koalitionsvertrag gemachten Versprechen mit Füßen. Vor nicht einmal drei Jahren betonten die Ampelparteien darin, dass die Integrität des Schengenraumes wiederhergestellt werden solle, Ausnahmeregelungen restriktiver gehandhabt und nicht ohne Konsultationen der europäischen Partner genutzt werden sollen. Anstatt ihren Worten Taten folgen zu lassen, legt die Bundesregierung die Axt an einen Grundpfeiler der europäischen Integration an.
Die Auswirkungen treffen jede:n Einzelne:n von uns: Menschen, die nahe der Grenze wohnen, Reisende, Pendler:innen, internationale Studierende wie Auszubildende werden in ihrem Alltag und in ihrer Freiheit spürbar eingeschränkt. Mit Ausnahme der Corona-Pandemie spielte es für diese Menschen in den vergangenen Jahren keine Rolle, auf welcher Seite der Grenze sie wohnten, die Grenze war in ihrem Alltag nicht existent. Die Bundesregierung stellt sie damit vor enorme organisatorische Herausforderungen und sabotiert das interkulturelle Miteinander, Bildungserfahrungen und Freundschaften. Auch in den Grenzregionen ansässige Unternehmer:innen müssen mit wirtschaftlichen Einbußen rechnen, insbesondere da ein erschwerter Grenzverkehr auch Einfluss auf die europäischen Lieferketten hat und zu weiteren Kostensteigerungen für die Wirtschaft führen wird. Gleichzeitig werden für die Grenzkontrollen wertvolle staatliche Ressourcen gebunden.
Die Bundesregierung muss deshalb alle Grenzkontrollen umgehend beenden und sich klar zur uneingeschränkten Freizügigkeit als Grundpfeiler der Europäischen Union bekennen. Für die entstandenen Unstimmigkeiten bei unseren europäischen Nachbarländern sollte die Bundesregierung Verantwortung übernehmen und den Schengener Grenzkodex zukünftig wahren. Statt nationaler Alleingänge müssen gemeinsame europäische Lösungen entwickelt und die Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten gestärkt werden.
Unser Appell an die Bundesregierung daher: Don’t touch my Schengen!
Ihr seht das auch so? Dann unterschreibt gerne unsere Petition!