Europa zählt mehr denn je! - Bundesausschuss nimmt neue Bundesregierung in die Pflicht

Der gemeinsame Bundesausschuss von Europa-Union und JEF Deutschland am 15. März in Berlin stand unter dem Eindruck der weltpolitischen Umwälzungen. Die Abkehr der neuen US-Regierung von Europa und einer regelbasierten Weltordnung ändert für Deutschland und Europa alles. Die Nachlese zur Bundestagswahl als beherrschendes Thema der Tagung stand im Lichte dieser aktuellen Entwicklungen. An die Tagung schloss sich die Kundgebung "Zusammen für Europa" an, zu der JEF und EUD gemeinsam aufgerufen hatten.

Aus voller Kehle: "Zusammen für Europa" Kundgebung am ehemaligen Berliner Mauerstreifen. Foto: Lutz Gude / JEF Deutschland

Positive Kampagnenbilanz

Bereits mit der Verbandskampagne zur Bundestagswahl „Deutschland wählt, Europa zählt“ hatten EUD und JEF die besondere Verantwortung der neuen Bundesregierung für die künftige europäische Politik in den Fokus genommen. EUD-Generalsekretär Christian Moos und JEF-Bundesvorsitzende Melanie Thut zogen eine positive Bilanz. Trotz der kurzen Wahlkampfzeit gab es viele Veranstaltungen mit Kandidierenden vor Ort in den Kreisverbänden, mehrere zentrale Online-Events, Schulprojekte sowie eine erfolgreiche Video-Reihe in den sozialen Medien, die mit dem Institut für Europäische Politik, dem BBE und mithilfe der ehrenamtlichen Unterstützung der Producerin Veronika Weidlich realisiert wurde. Christian Moos dankte den Kreis- und Landesverbänden, die mit der Kampagne für ein europaoffenes Deutschland gekämpft haben. „Jetzt ist die Stunde Europas“, betonte Moos. In der EU lebten mehr als 448 Mio. Menschen, Großbritannien und Norwegen näherten sich der EU in der Sicherheitspolitik an. Die neue Bundesregierung trage daher eine besondere europapolitische Verantwortung.

MEGA statt MAGA

Bei vielen der aktuellen Probleme liege ein Teil der Lösung in Europa, sagte EUD-Präsident Rainer Wieland in seinem politischen Bericht. Insbesondere in der Außenpolitik müssten sich die EU-Staaten schneller und besser verständigen. Autokraten hätten nämlich den immanenten Vorteil, allein und kurzerhand entscheiden zu können. Mit Blick auf die neue US-Administration merkte er an, im Grundgesetz würde nichts von Deals stehen. Man habe Interessen, aber Europa und das Zusammenleben in der Welt funktionierten nicht wie ein Kaugummiautomat, wo man sofort und im gleichen Gegenwert etwas für sein Geld bekomme. Man müsse langfristig in gute Beziehungen investieren.

In Anbetracht von mehr als 27 Luftraumüberwachungen und mehr als 100 unterschiedliche Waffen-systemen in Europa bedürfe es schnell einer gemeinsamen Beschaffung von Rüstungsgütern und der Vereinheitlichung von Strukturen, so Wieland. „Das Eurocorps in Straßburg hätte man längst zum Nukleus einer europäischen Verteidigungsstruktur ausbauen können.“ Und weiter: „Wir brauchen einen europäischen Pfeiler der NATO, der sie mitträgt, der aber so stark ist, eine europäische Struktur allein zu stemmen.“ Seiner Meinung nach wird der Knackpunkt in Europa die Flüchtlingspolitik sein. „Es wird nur gehen, wenn sich alle bewegen, und wenn alle sehen, dass sich alle bewegen“, unterstrich Wieland erneut. „Schengen wird in der Mitte sterben, wenn wir es an den Rändern nicht organisieren“, warnte er und regte die Finanzierung der Gehälter der Grenzbeamten an den EU-Außengrenzen durch europäische Mittel an. „Wir sind der Verband, der sich aufmachen und sagen muss: MAGA ist keine Option. Wir wollen MEGA – Make Europe grow again!“, schloss der EUD-Präsident.

Laut der JEF-Bundesvorsitzenden Melanie Thut erleben wir gerade einen historischen Moment. Deshalb sei es wichtig, dass sich die neue Bundesregierung aktiv in die Europapolitik einbringt. Es müsse eine koordinierte Europapolitik geben, damit es künftig nicht mehr zu einer „German Vote“ komme, d.h. zu Enthaltungen Deutschlands im Rat der EU. Sie sei erstaunt gewesen, wie wenig Europa im Sondierungspapier der künftigen Koalition gestanden habe, dabei sollte statt national zu denken, Europa als Chance gesehen werden. Sie dankte der Europa-Union für die gute Zusammenarbeit bei der Kampagne und der Ausarbeitung des Leitantrags mit den Forderungen an die Bundesregierung. Gemeinsam seien auch Verhandlerinnen und Verhandler des künftigen Koalitionsvertrags angesprochen worden.

„Wir müssen neu denken“

In der Generaldebatte zur Bundestagswahl ging es um die besondere Verantwortung der künftigen Regierung und die Versäumnisse früherer Koalitionen in den Bereichen Verteidigung und Infrastruktur. Bemängelt wurde auch, dass sich die etablierten Parteien zu viel aneinander und zu wenig an der AfD abgearbeitet hätten. Dabei schadeten die AfD-Vorhaben den Menschen und der deutschen Wirtschaft. Es wurde auch angemerkt, dass mit der Gründung des BSW, gegenüber dem die EUD einen Unvereinbarkeitsbeschluss gefasst hat, viele Europaskeptiker die Partei Die Linke verlassen hätten. Man könnte daher versuchen, die Linke stärker einzubinden. Beobachtet wurde auch, dass Good Governance eine gute Kommunikation in die Gesellschaft brauche. EUD und JEF sollten daher überlegen, mit welchen neuen sozialen Bewegungen sie zusammenarbeiten könnten. 

Zum Schluss der Debatte meldete sich EUD-Ehrenpräsident Elmar Brok zu Wort. Die Situation sei noch nie noch nie so schlimm wie jetzt gewesen. Die Welt der letzten 80 Jahre gebe es nicht mehr. „Trump ist wie Xi und Putin der Meinung, dass Europa zerschlagen werden muss. Bündnispartner kennt er nicht mehr. Er kennt nur Feinde und Vasallen. Die EU hat er in die Reihe der Vasallen eingeteilt“, so Brok. Die Botschaft an uns selbst müsse daher lauten, dass wir neu denken müssen. Wir brauchen eine Reduzierung der Waffensysteme und eine Standardisierung der Munition. Diese müsse gemeinsam beschafft werden, ähnlich dem Vorgehen beim gemeinsamen Kauf von Impfstoffen während der Pandemie durch die EU-Kommission. „Macron hat recht gehabt, als er sagte, wir brauchen eine europäische souveräne Autonomie“, sagte Brok. „Europa ist die einzige substanzielle Antwort“, sagte Brok mit Blick auf die dramatische Lage und warnte nachdrücklich davor, diese Chance zu verpassen.

Forderungen an die Bundesregierung

Das erwarten Europa-Union und JEF in ihrem Leitbeschluss von der künftigen Bundesregierung:

  • Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und zivilgesellschaftliches Engagement stärken!
  • Junge Menschen an der Gestaltung der Zukunft beteiligen!
  • Europäische Integration vertiefen, um den Bundesstaat zu verwirklichen!
  • Eine handlungsfähige EU durch gemeinsame Verteidigung fördern!
  • Europäische Freizügigkeit schützen und Schengen verteidigen!
  • Das Parlament als Herzstück der Demokratie betonen!
  • Wettbewerbsfähigkeit und Klimaschutz vorantreiben! 

Den vollständigen Beschluss finden Sie hier

In einem weiteren Beschluss wird die Regierung aufgefordert, sich eingedenk des Draghi-Reports für die Verwendung gemeinsamer europäische Finanzinstrumente sowie die Aufnahme gemeinsamer europäischer Kredite einzusetzen und die Entwicklung der EU zu einer Fiskalunion voranzutreiben.

Da die USA ihre Rolle als Verteidigerin einer regelbasierten Weltordnung nicht mehr wahrnehmen, fordert der Bundesausschuss zudem in einer Erklärung die EU und ihre Mitgliedstaaten auf, ihre Beziehungen zu anderen Staaten auf dem amerikanischen Kontinent zu intensivieren und mit diesen Partnern Verantwortung für den Erhalt der werte- und regelbasierten Ordnung zu übernehmen.

Überparteilich, aber nicht neutral!

Wichtige Diskussionen fanden auch in den verbandspolitischen Workshops statt. In der Session zur Überparteilichkeit tauschten sich die Teilnehmenden darüber aus, wie das Kernmerkmal von EUD und JEF in diesen Zeiten noch besser gefördert und in den Verbänden gelebt werden kann. Beim Workshop „Raus aus der Bubble“ ging es um die Erreichung neuer Zielgruppen für die Europa-Kommunikation und Mitgliedergewinnung unserer Verbände. In einer weiteren Runde stand die Frage im Zentrum, wie der Übergang vom Jugend- zum Erwachsenenverband bestmöglich gestaltet werden kann, und was eine gute Zusammenarbeit von EUD und JEF konkret ausmacht.

Zusammen für Europa

Im Anschluss an die gemeinsame Tagung zogen die Delegierten zur Kundgebung „Zusammen für Europa“, die JEF und EUD gemeinsam veranstalteten. An der East Side Gallery am ehemaligen Mauerstreifen demonstrierten sie für ein vereintes Europa, das zu seinen Werten steht. Auch Berliner Mitglieder und Vertreter von Partnerorganisationen schlossen sich an. Mit Sprechchören, dem „Europe United“-Song und Redebeiträgen zogen die Demonstrierenden die Blicke und das Interesse der vielen Passanten auf sich. Am selben Nachmittag fanden auch in anderen Städten, darunter Rom, Brüssel und Bukarest, proeuropäische Kundgebungen statt. Ausgangspunkt war ein Aufruf des italienischen Journalisten Michele Serra in der Zeitung La Repubblica, auf welchen hin in verschiedenen Städten Proteste für ein vereintes Europa im Angesicht der aktuellen geopolitischen Lage initiiert wurden. Die europäische föderalistische Bewegung hatte den Aufruf aufgegriffen und beteiligte sich.