Die EU sei die einzige richtige Lehre, die aus den Fehlern des 20. Jahrhunderts gezogen werden könne, unterstrich Dr. Michael Schneider, Leiter der Landesvertretung Sachsen-Anhalt, in seiner Einführung. Gleichzeitig sei sie die beste Grundlage für die Zukunft. Das Verdienst der EU als Friedensgarant könne vor dem Hintergrund der Konflikte in der Ukraine heute auch jüngeren Menschen wieder besser vermittelt werden. Als Vertreter eines ostdeutschen Landes sei für ihn zudem wichtig, dass die EU mit dem solidarischen Instrument der EU-Fonds mit dazu beigetragen habe, dass die neuen Länder eine beeindruckende Entwicklung genommen hätten. Mit dem klaren Ziel, die Wahlbeteiligung zu erhöhen, würde die Landesregierung von Sachsen-Anhalt in den nächsten Wochen mit einem umfangreichen Programmangebot auf die Bürger zugehen und dafür werben, am 25. Mai zur Wahl zu gehen.
Rainer Wieland betonte, dass durch die Europawahl 2014 vieles anders werde. Vor allem habe das Europäische Parlament durch die Einführung von europaweiten Spitzenkandidaten eine ungeheure Chance erhalten. Bis zum 25. Mai würden die Parteien natürlich darum kämpfen, welche Partei den nächsten Kommissionspräsidenten stellen werde. Schon am 26. Mai müsse das Parlament jedoch gegenüber dem Europäischen Rat geschlossen klarstellen, dass der neue Kommissionspräsident nur einer derjenigen werden dürfe, die zuvor auch als Spitzenkandidaten angetreten seien. Wieland forderte, dass der Europäische Rat trotz seines Vorschlagsrechts bei der Wahl des Kommissionspräsidenten künftig die Mehrheitsverhältnisse im Europäischen Parlament berücksichtigen müsse. Schließlich erhofft sich Wieland von der Wahl der Spitzenkandidaten in den europäischen Parteien auch einen positiven Einfluss auf die innerparteiliche Demokratie in denjenigen nationalen Parteien, wo solche Verfahren bislang noch nicht die Regel sind.
Trotzdem würde es auch weiterhin schwierig sein, den Menschen Europa zu erklären. Dies habe auch damit zu tun, dass erstaunlich viele in den Eliten von Politik, Wirtschaft und Medien noch auf ihr Schulwissen zur EU aus den 70er, 80er und 90er Jahren zurückgriffen und das Wort Demokratiedefizit zitierten, obwohl dies heute nicht mehr Stand der Dinge sei. Auch dafür zu werben, dass Europa unterschiedlich ist, bleibe schwierig. Trotz des Mottos „in Vielfalt geeint“ seien leider nur wenige Menschen bereit, die Besonderheiten anderer anzuerkennen. Außerdem würde es auch nach der Wahl Leute geben, die Europa schlechtreden wollten. Man müsse den Deutschen sagen, dass sie die EU netto durchschnittlich nur etwa 110 Euro im Jahr koste. Dies sei nicht einmal halb so viel, wie ein Baden-Württemberger für den innerdeutschen Länderfinanzausgleich zahle.
Wieland erwartet, dass es nach den Wahlen ein viel diversifizierteres Parlament geben werde, was nicht zuletzt der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes über den Wegfall der Drei-Prozent-Hürde geschuldet sei. Nach aktuellen Prognosen könnten auch mehrere sehr kleine Parteien aus Deutschland neu ins EP gelangen. Derzeit werde mit etwa 90 Abgeordneten gerechnet, die sich keiner der bestehenden Fraktionen anschließen könnten. Da es im neuen EP viele unterschiedliche Strömungen gebe und ohnehin eine einmal gewählte Kommission nur von einer 2/3 Mehrheit wieder abgesetzt werden könne, gehe er davon aus, dass die Fraktionen, die die Kommission ins Amt wählten, eine Art Koalitionsvereinbarung erarbeiten würden.
Das Publikum brachte weitere Themen in die Debatte ein, die von Prof. Dr. Mathias Jopp, Direktor des Instituts für Europäische Politik, moderiert wurde. Kontrovers diskutiert wurden unter anderem die Strategien von Rechtspopulisten in Europa, der CDU-Europawahlkampf, die Sitzverteilung im Europäischen Parlament unter dem Aspekt des Demokratiedefizits und der Vorschlag eines Eurozonenparlaments. Auf die Frage, wie die Sitzverteilung noch repräsentativer gestaltet werden könne, antwortete Wieland mit dem Vorschlag, jedem Land sechs Grundmandate zuzuordnen und die übrigen Sitze nach dem D’Hondt-Verfahren mit einer Kappungsgrenze bei 90 zusätzlichen Mandaten einzuführen. Dieses System habe den Vorteil, dass es leicht nachzuvollziehen sei. Denn wenn die Regeln der Sitzverteilung nicht von Dreivierteln der Lehrer wie Schüler problemlos verstanden werden könnten, riskiere man damit das nächste Demokratiedefizit.