Die schlechte Nachricht für Europa lautet: die stärkste Partei des Front Populaire, der Linksfront, die sich nach der überraschenden Auflösung des Parlaments durch Präsident Emmanuel Macron gebildet hatte, ist erwartungsgemäß die linksextreme La France Insoumise (LFI), also das „Unbeugsame Frankreich“ geworden. Diese Partei des populistischen Millionärs Jean Luc Mélenchon ist allerdings mindestens so europaskeptisch wie die RN. Die LFI lehnt das „Europa von Maastricht“ ab, will ebenso wie die RN keine Waffen mehr für die Ukraine liefern. Mélenchon fordert das Amt des Premierministers für die Linksfront und damit für sich selbst.
Dass es soweit kommen wird, ist allerdings unwahrscheinlich, denn auch die Linksfront hat keine absolute Mehrheit der Sitze. Die proeuropäischen Parteien, die in der Formation Ensemble („Gemeinsam“) den Präsidenten Emmanuel unterstützen, werden wohl kaum mit dem europaskeptischen und zudem antisemitischen Linkspopulisten zusammengehen. Ensemble dürfte auf die wiedererstarkten französischen Sozialisten (Sozialdemokraten), auf die Grünen und auf die Bürgerlichen zugehen, die Le Pen nicht unterstützten. Die Linksfront könnte aufbrechen. Die Gegensätze auch zwischen den nicht extremistischen, proeuropäischen Kräfte bleiben jedoch groß.
Ob Macron ein Expertenkabinett berufen wird, das für diese Kräfte der Mitte tragbar wäre? Im Zweifel droht Frankreich, die Fünfte Republik kennt keine Koalitionsregierungen, ein Jahr der Unregierbarkeit. Denn der Präsident darf die Nationalversammlung erst nach 12 Monaten erneut auflösen. Neuwahlen in gut einem Jahr sind also nicht unwahrscheinlich. Für Europa, das dringend Reformen braucht und das existenziell herausgefordert wird, ist die französische Instabilität trotz aller Erleichterung über das unerwartet schwache Abschneiden der RN keine gute Nachricht.