Selten sei die Grundordnung des vereinigten Europas so herausgefordert gewesen wie heute, sagte der dbb-Bundesvorsitzende Klaus Dauderstädt in seiner Eröffnung. Wo immer in Europa derzeit Wahlen stattfänden, erzielten rechtspopulistische oder gar rechtsextreme Parteien deutliche Zugewinne. Vor diesem Hintergrund warnte er vor einem weiteren Rückgang der Wahlbeteiligung.
Beim Thema Rechtspopulismus und Rechtsextremismus stellt sich für Thea Dorn die Frage, wie man mit den verschiedenen Gruppen umgeht. Sie unterscheidet unter anderem zwischen dem „radikalisierten Mob“ und der konservativen Rechten, die durch die Jahre der großen Koalition heimatlos geworden sei. Um letztere anzusprechen, müsse von der Politik eine besonnene humane Strenge und Klarheit vermittelt werden. Es dürfe nicht der Eindruck entstehen, dass Neuankommende für sich eigene Regeln in Anspruch nehmen dürften. Es brauche einen klaren Kurs, der die Werte verteidige.
Der Extremismusforscher Peter Neumann bekräftigte, dass innerhalb der Gesellschaft einerseits ein klar definierter Wertekanon gelten und durchgesetzt werden müsse. Auf der anderen Seite sei es äußerst wichtig zu betonen, dass diejenigen, die diese Werte verinnerlicht hätten, auch als Deutsche anerkannt würden – und zwar unabhängig von ihrer Herkunft und ihrem äußeren Erscheinungsbild. Für eine erfolgreiche Integration sei beides gleichermaßen notwendig.
Staatssekretär Günter Krings, der auch stellvertretender Vorsitzender der Europa-Union Parlamentariergruppe ist, berichtete über die Entwicklungen und Formen des politischen Extremismus. 2014 seien dem islamischen Terrorismus weltweit 32.700 Menschen zum Opfer gefallen. Dabei entfielen auf die Länder Irak, Nigeria, Afghanistan, Pakistan und Syrien 70 Prozent der Todesopfer. Trotz einzelner Warnungen ausländischer Geheimdienste und einer konsequenten Verfolgung von Einzelhinweisen lägen bislang keine Hinweise vor, dass Terroristen die Flüchtlingsströme zur Einreise nach Europa missbrauchten. In Deutschland ginge am ehesten eine Gefahr von Einzeltätern aus.
Beim Rechtsextremismus sei das Personenpotential leicht rückläufig, berichtete Krings. Ende 2014 seien 21.000 Personen gezählt worden. Jeder zweite sei jedoch gewaltorientiert. Krings sieht die Gefahr, dass sich die Extremisten gegenseitig verstärken und sich Agitatoren in ihrem gewalttätigen Vorgehen gegenseitig aufstacheln. 2015 habe es mehr als 600 Anschläge auf Flüchtlingsunterkünfte in Deutschland gegeben. „Diese Straftaten sind eine Schande für unser Land“, unterstich Krings.
Die dritte Gruppe seien die Linksextremen. Beispielsweise würden sie genehmigte Demonstrationen für gewaltsame Auseinandersetzungen mit ihren politischen Gegnern nutzten. Krings sieht bei allen Formen des Extremismus eine starke Vernetzung über Ländergrenzen hinweg. Ein gemeinsames Vorgehen mit den europäischen Partnern sei daher unerlässlich.
Im Kampf gegen Radikalisierung komme auch der Prävention eine besondere Rolle zu, sagte Krings und unterstrich die Bedeutung der Zusammenarbeit mit muslimischen Verbänden. Diese zeigten, dass der Islam ein integraler Bestandteil unserer Gesellschaft sei und eine Bereicherung für unser Land.
Wie man den Gefahren von Extremismus begegnen kann, debattierten der grüne Bundestagsabgeordnete Hans-Christian Ströbele und der Bundesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft Rainer Wendt. Wendt sprach sich in diesem Zusammenhang klar für die Vorratsdatenspeicherung aus. Sie sei für die polizeiliche Praxis von großer Relevanz. Ströbele hingegen lehnte das Instrument mit der Begründung ab, dass sich die Vorratsdatenspeicherung zu 99 Prozent gegen Nichtverdächtige richte.
Angesichts der Flüchtlingssituation in Deutschland forderte Rainer Wendt, die humanitäre Situation der betroffenen Menschen zu verbessern, die Kapazitäten für diejenigen Schutzbedürftigen frei zu halten, für die sie gebraucht würden, und die Situation der Einsatzkräfte zu verbessern.
Ströbele positionierte sich klar gegen neue Grenzzäune innerhalb der EU. Die Hoffnung, dass Zäune die Situation verbessern könnten, sei ebenso eine Illusion wie die Aussage, dass Schengen und Dublin Bestand hätten, so der Abgeordnete. Die Frage sei viel mehr, ob man eine Abschreckungs- oder eine Willkommenskultur aufbauen wollte. Ströbele forderte, Flüchtlinge aus Syrien und auch Afghanistan nicht das Asylverfahren durchlaufen zu lassen, sondern direkt eine Aufenthaltsgenehmigung für drei bis fünf Jahre zu gewähren. Dies würde zu einer Entlastung der Behörden führen. In einem zweiten Schritt müsse überlegt werden, wie Menschen von den gefährlichen Fluchtruten nach Europa abgebracht werden können. Ströbele schlug dafür Aufnahmelager beispielsweise in der Türkei vor, in denen Flüchtlinge vor Ort ihr Einreisegesuch stellen könnten.
Mit Blick auf Projekte zur Bekämpfung und Prävention von Extremismus forderte Rainer Wendt längere Projektlaufzeiten und eine bessere Evaluierung. Einig waren sich Ströbele und Wendt in ihrer Ablehnung eines NPD-Verbots. Die Anhänger würden damit nicht verschwinden, sondern nur weniger sichtbar und zuordenbar.
Zum Abschluss des Europäischen Abends forderte die Vorsitzende der Europa-Union Berlin und Europaabgeordnete Sylvia-Yvonne Kaufmann, sich auf die Unantastbarkeit der Menschenwürde zu besinnen, die sowohl im Grundgesetz als auch in der Europäischen Grundrechtecharta verankert ist. Sie müsse sich als Leitgedanke durch alle Debatten ziehen. „Wenn die Würde des Menschen als antastbar erachtet wird, dann sind wir alle gefordert“, unterstrich Kaufmann und forderte als Gegenentwurf zur Überschrift des Europäischen Abends statt eines „Zeitalters der Extreme“, gemeinsam ein „Zeitalter der Humanität“ zu beschreiten.
Der Europäische Abend ist eine Kooperationsveranstaltung von Europa-Union Deutschland, dbb beamtenbund und tarifunion, dem Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement sowie der Vertretung der Europäischen Kommission in Deutschland. Medienpartner des Europäischen Abends ist Euractiv.de.
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