Fremdsprachliche Kompetenz erwerben, pflegen und erweitern

Beschluss des Bundeskongresses vom 22.11.2008 (PDF-Datei)

Die Europa-Union fordert die Länder und, soweit in seine Zuständigkeit fallend, das Bundesministerium für Bildung und Forschung auf, die Ausbildung zur Mehrsprachigkeit für alle jungen Menschen in Bildungs- und beruflichen Ausbildungsgängen gezielter und nachhaltiger als bisher zu fördern. Der Erwerb einer fremdsprachlichen Kompetenz in mindestens zwei modernen Fremdsprachen ist das erklärte und gut begründete Ziel der Europäischen Union. Die Europa-Union ist der Auffassung, dass die Deutschen in verschiedenen Bildungsgängen noch größere und breiter angelegte Anstrengungen machen können auf dem Weg zur Mehrsprachigkeit und Sprachenvielfalt in Europa.
Es gilt stärker als bisher, früh die natürliche Lernbereitschaft der Kinder zu nutzen und die Lernbereitschaft durch flexible Lernorganisation des Fremdsprachenunterrichts auf dem Weg zum Schulabschluss zu stimulieren und dabei die erforderlichen Ressourcen einzustellen. Es gilt, für die Lernbereitschaft im Studium und die Pflege der Fremdsprachenkompetenz in den ersten Berufsjahren ein größeres Bewusstsein zu entfalten, damit beruflich Optionen im Sinne lebenslangen Lernens ausgeschöpft werden können.

Chancen nutzen mit dem Frühbeginn des Fremdsprachenlernens
Bereits in den Kindertagesstätten (3-5 Jahre) können Kinder vor dem Beginn der Schulzeit spielend und kindgerecht eine Begegnung mit einer Fremdsprache erfahren. Es gibt gute Gründe dafür. Zu keinem Zeitpunkt lernen Menschen so leicht eine Fremdsprache, lernen angstfrei und stellen sich positiv dazu ein auch für die spätere Schulzeit.
Diese guten Gründe sprechen für eine Begegnungsform mit einer Fremdsprache in den ersten beiden Grundschuljahren für alle Schülerinnen und Schüler. Die Beherrschung der deutschen Sprache sollte bei Eintritt gefestigt sein, auch bei den Schülern, die mit einer anderen Erstsprache aufgewachsen sind. Eine zweite Sprache ist zusätzlich stabilisierend.
Die Zahl der Kitas, in denen eine erste Begegnung mit einer Fremdsprache erfolgt, wird weiter wachsen; eine Fortführung, ob als Begegnung oder aufbauend oder sequentiell am Beginn der Grundschulzeit ist unbedingt anzustreben.

Mehr Unterricht in den Herkunftssprachen erteilen
Viele Kinder sprechen die Sprache ihrer Eltern als Erstsprache und Deutsch als zweite Sprache. Hier gibt es Sprachkompetenz, die gepflegt werden und nicht verfallen sollte. Wenn Bildung ein Schlüssel für die weitere berufliche Qualifikation ist, dann sollten mehr junge Menschen, viele aus sozial schwächeren Schichten, durch das Sprachangebot in ihrer Herkunftssprache interessiert, motiviert und gefördert werden. Um später eine weitere Sprache zu erlernen, ist dann der Weg geebnet. Der Unterricht in diesen Sprachen sollte umgehend stärker gefördert und für die Ausbildung von Lehrkräften in diesen Fächern geworben werden. Türkisch in der 7. Klasse ist bislang eine große Ausnahme.

Anwendungsbezogenen Sachfachunterricht in einer Fremdsprache deutlich ausweiten (bilingualer Unter-richt)
Es gibt heute bereits bilingualen Unterricht in den Sachfächern Erdkunde und Geschichte, vereinzelt auch in anderen Fächern.
Der Fremdsprachenunterricht ist in den höheren Jahrgängen der allgemeinbildenden und in den berufsbildenden Schulen aber viel stärker anwendungsbezogen einzurichten. Dies kann durch Fremdsprachenunterricht in den Sachfächern geschehen. Für diesen bilingualen Unterricht gibt es vielfältige, erprobte Organisationsformen.
Hierzu können die Rezeption, die Produktion und Reflexion von Texten auf unterschiedlichen Anforderungsniveaus genutzt werden. Die Anwendungszusammenhänge müssen in vielfach variierten Anlässen stark auf die Interaktion abstellen. Diese Stärkung der Kommunikationsfähigkeit ist ein Schlüssel für die spätere berufliche Tätigkeit in zunehmend europäisch bestimmten Arbeitsplätzen und ebenso für das Studium. Sie kann befördert werden durch Gesprächsführung in der Fremdsprache, in dolmetschenden Handlungen, der Simulation von Verkaufsgesprächen oder Parlamentsdebatten. Der authentischen Sprachmittlung ist der Vorzug zu geben vor der virtuellen. Die Kompetenzzuwächse für den mündlichen Sprachgebrauch sind nachhaltiger als alle traditionellen Unterrichtsformen. Das Fremdsprachenzertifikat an Berufsschulen zeigt die Handlungsprofile bereits auf.

Lehrkräfte für bilingualen Unterricht qualifizieren
Alle Lehrkräfte von der Grundschule bis zu den allgemeinbildenden und berufsbildenden Schulen, die keine Fakultas für eine Fremdsprache haben, sollten eine hinreichende Kompetenz in einer der vorherrschend an den Schulen unterrichteten Fremdsprache haben für die Begleitung des fremdsprachlichen Sachfachunterrichts in ihren Fächern, für die Durchführung von einzelnen Unterrichtseinheiten und für grenzüberschreitende Projekte ihrer Schüler sowie von Projekten im Rahmen von EU-Programmen.

Der Fremdsprachenkompetenz im Dualen System mehr Nachdruck verleihen
Die Integration fremdsprachlicher Anteile in die Lernfelder in Berufsschulen (BS) kann die berufliche Kompetenz der Auszubildenden stärken. Der Umfang des fremdsprachlichen Unterrichts ist aber äußerst gering, obwohl immer mehr Bedienungsanleitungen z.B. für vorfabrizierte Teile, Montage und Wartung im gewerblich-industriellen Bereich zunehmend ausschließlich in Englisch gefasst sind. Die Nichtbenotung (Bildung einer Durchschnittsnote) des fremdsprachlichen Anteils wirkt überdies demotivierend, behindert die Leistungsstärkeren und steht einer Zertifizierung entgegen.
In den IHK-Prüfungen für den Gesellenbrief fehlt die Ausweisung einer fremdsprachlichen Kompetenz. Der DIHT ist aufgefordert hier Abhilfe zu schaffen.

Es gibt einen unumstößlichen Mindeststandard, der hinter den Forderungen und Zielen der Europäischen Union zurückbleibt, aber für unsere deutsche Bildungssituation eminent wichtig ist: Alle Absolventen des allgemeinbildenden und beruflichen Bildungsganges müssen Englisch gut verstehen und gut sprechen und leidlich schreiben können. Alle Statistiken, die besagen, dass ein hoher Prozentsatz der Deutschen eine wirkliche Sprachkompetenz im Englischen hat, sind falsch. Die Kenntnisse und Fertigkeiten eines Großteils der deutschen Abgangsschüler sind gemessen am Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen nach wie vor weit unten anzusiedeln. Dabei hat sich in den vergangenen Jahren wieder viel grenzüberschreitend auf dem Arbeitsmarkt getan. Deutsche Fliesenleger arbeiten in Dänemark und Norwegen, deutsche Köche in Spanien, Monteure in bulgarischen Niederlassungen deutscher Firmen.

Zeitliche Räume schaffen für die dritte und vierte Fremdsprache und Dauer des ersten Fremdsprachenlehrgangs begrenzen
Es bietet sich an, den Umfang des Englischlehrgangs, der überwiegend ersten Fremdsprache in der Bundesrepublik, nicht weiter auszudehnen bzw. zeitlich zu begrenzen. Der Kompetenzzuwachs stagniert ohnehin in der ausgehenden Sekundarstufe I. Die Dauer des fremdsprachigen Durchgangs kann heute 10 Jahre bei Beginn in der 3. Grundschulklasse umfassen, sogar länger bei früherem Fremdsprachenbeginn. Möglich wäre die zeitliche Reduzierung des Lehrgangs erste Fremdsprache nach dem 5. Unterrichtsjahr zugunsten einer neu beginnenden Fremdsprache bei Fortführung eines ein- bis maximal zweistündigen „back-up“-Unterrichts oder zumindest anwendungsbezogenem bilingualen Unterrichts zusätzlich/alternativ zu dem herkömmlichen bilingualen Modell eines ggf. im 6. oder 7. Schuljahr begonnenen Sachfachunterrichts in einer Fremdsprache.
Es bietet sich ferner an, fremdsprachlichen Sachunterricht in der Oberstufe anteilig auf die Belegverpflichtung in der Oberstufe anzurechnen, wodurch mehr Zeit für andere Fächer, ggf. auch für eine weitere Fremdsprache verfügbar wird.

Den Nachbarsprachen größere Priorität geben
Wechselseitige Kenntnis der Sprachen hilft gute nachbarliche Beziehungen aufzubauen. Dies kann das Fundament sein für einen nachhaltigen interkulturellen Dialog. Die Nachbarsprache könnte die jetzt begrifflich von der Kommission ins Spiel gebrachte „persönliche Adoptivsprache“ sein.