Deutschland wählt, Europa zählt!

Wie blickt Europa auf die Bundestagswahl 2025?

Am 12. Februar 2025 lud die Europa-Union Deutschland zu einem Online-Bürgerdialog unter dem Titel "Deutschland wählt, Europa zählt! Wie blickt Europa auf die Bundestagswahlen 2025?" ein. Die Bundestagswahl gilt als richtungsweisend für die zukünftige Ausrichtung Deutschlands in der EU und wird von den europäischen Nachbarn mit besonderem Interesse verfolgt. Die Veranstaltung war Teil der Bundestagswahl-Kampagne der Europa-Union und bot eine Plattform für einen offenen Austausch über die Sichtweise des europäischen Auslands auf die Wahl. Über 90 Bürgerinnen und Bürger nahmen teil und nutzten die Gelegenheit, sich aktiv einzubringen und mit Expert:innen aus Frankreich, Polen und Brüssel über die möglichen Auswirkungen der Wahl auf die europäische Politik zu diskutieren.

Als Expert:innen waren geladen:

  • Jeanette Süß, Research Fellow am Institut français des relations internationales

  • Łukasz Jasiński, Deutschland-Analyst am Polish Institute of International Affairs

  • Jonathan Packroff, Journalist bei EURACTIV

 

Moderiert wurde die Veranstaltung von Milena Neumes, die eingangs betonte, dass die Bundestagswahl nicht nur für Deutschland, sondern auch für die gesamte EU richtungsweisend sei. "Die deutsche Politik beeinflusst die europäische Zusammenarbeit, die wirtschaftliche Entwicklung der EU und nicht zuletzt zentrale Zukunftsfragen wie Klimapolitik, Migration und Sicherheit", führte sie aus. Die Diskussion sollte daher aufzeigen, wie unsere europäischen Nachbarn auf die Wahl blicken und welche Erwartungen sie an die zukünftige Bundesregierung haben.

In einer ersten Umfrage wurden die Teilnehmenden gebeten, die für sie wichtigsten Themen der Bundestagswahl zu benennen. Die entstehende Wortwolke zeigte eine deutliche Häufung der Begriffe Wirtschaft, Klimaschutz, Demokratie und Migration. Die Expert:innen wurden daraufhin gefragt, wie diese Themen aus ihren jeweiligen Ländern wahrgenommen werden.

Jeanette Süß betonte, dass die wirtschaftliche Lage Deutschlands in Frankreich mit besonderem Interesse verfolgt werde, da beide Länder wirtschaftlich eng verflochten sind. "Wenn Deutschland in eine Rezession rutscht, hat das direkte Auswirkungen auf die französische Wirtschaft", erklärte sie. Auch das Thema Migration sei in Frankreich stärker präsent als in der deutschen Debatte, wobei die französische Politik traditionell restriktiver ausgerichtet sei. Zudem werde in Frankreich die Diskussion über die deutsche "Brandmauer" gegenüber der AfD aufmerksam verfolgt. "Frankreich kennt mit der 'Front républicain' ein ähnliches Konzept zur Abgrenzung gegen den Rassemblement National", so Süß. Besonders aufmerksam werde in Frankreich verfolgt, ob sich deutsche Parteien auf eine Kooperation mit der AfD einlassen könnten – eine Entwicklung, die dort große Bedenken auslöse.

Łukasz Jasiński schilderte die polnische Perspektive, die vor allem durch sicherheitspolitische und wirtschaftliche Fragen geprägt sei. Deutschland werde nicht mehr uneingeschränkt als Stabilitätsanker wahrgenommen, da wirtschaftliche Unsicherheiten auch in Polen spürbar seien. "Wir sehen mit Sorge, dass Deutschland an wirtschaftlicher Dynamik verliert, denn unsere Volkswirtschaften sind eng miteinander verbunden", betonte Jasiński. Zudem gebe es in Polen die Erwartung, dass Deutschland eine größere sicherheitspolitische Verantwortung übernimmt – insbesondere angesichts der Bedrohung durch Russland. "Polen investiert 4,45 % seines BIP in die Verteidigung. Wir erwarten, dass Deutschland eine vergleichbare Entschlossenheit zeigt", so Jasiński weiter. Gleichzeitig betonte er, dass Polen sich eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe wünsche und nicht länger als "Juniorpartner" der deutsch-polnischen Beziehungen betrachtet werden wolle.

Jonathan Packroff beleuchtete die Sicht aus Brüssel, wo wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit und politische Polarisierung im Fokus stehen. Er kritisierte, dass wirtschaftspolitische Debatten in Deutschland oft isoliert von der europäischen Perspektive geführt würden. "Viele Themen wie Industriepolitik oder Wirtschaftsförderung werden national betrachtet, obwohl sie klare europäische Dimensionen haben", erläuterte er. Erwartet werde, dass Deutschland eine aktivere Rolle in der strategischen Ausrichtung der EU einnimmt.

 

“Anstatt nationaler Grenzkontrollen brauchen wir eine stärkere Sicherung der EU-Außengrenzen”

 

Ein weiteres Thema waren die Grenzkontrollen Deutschlands und deren Auswirkungen auf den Schengen-Raum. Süß zeigte sich ambivalent: Einerseits gebe es Verständnis für die Maßnahmen angesichts der Migrationssituation, andererseits bestehe die Sorge, dass dies einen Dominoeffekt auslösen und andere Staaten zu ähnlichen Maßnahmen veranlassen könnte. "Wenn Deutschland Grenzkontrollen einführt, könnte das Nachbarstaaten dazu ermutigen, ebenfalls ihre Grenzen zu sichern – mit Folgen für den freien Personenverkehr in Europa", warnte sie.

Jasiński sah das kritischer und wies darauf hin, dass dies in Polen als Zeichen einer Schwächung des Schengen-Raums wahrgenommen werde. "Anstatt nationaler Grenzkontrollen brauchen wir eine stärkere Sicherung der EU-Außengrenzen", argumentierte er. Polen habe in den vergangenen Jahren verstärkt in den Grenzschutz investiert und sehe es als Priorität, irreguläre Migration an den äußeren EU-Grenzen einzudämmen.

Ein Teilnehmer fragte über Slido nach den Erwartungen Frankreichs und Polens an die neue Bundesregierung. Süß und Jasiński waren sich einig, dass Deutschland eine verlässliche europäische Führung übernehmen müsse. Während Frankreich insbesondere auf eine engere deutsch-französische Zusammenarbeit in der Industrie- und Verteidigungspolitik setze, wünsche sich Polen eine klare sicherheitspolitische Positionierung und einen strategischeren Ansatz aus Berlin.

 

“Wir erwarten, dass Deutschland Polen als gleichwertigen Partner betrachtet und gemeinsam mit Frankreich an einer strategischen Agenda arbeitet”

 

Auch das Weimarer Dreieck – die Zusammenarbeit zwischen Deutschland, Frankreich und Polen – wurde thematisiert. Jasiński betonte, dass Polen mehr Dialog auf Augenhöhe erwartet und sich nicht mehr als Juniorpartner in der EU sehe. "Wir erwarten, dass Deutschland Polen als gleichwertigen Partner betrachtet und gemeinsam mit Frankreich an einer strategischen Agenda arbeitet", forderte er. Gleichzeitig wurde diskutiert, ob ein möglicher Bundeskanzler Friedrich Merz das Weimarer Dreieck stärken könnte, da er enge Beziehungen zu Polen anstrebe.

Ein weiteres wichtiges Thema war die deutsche Debatte über die Brandmauer zur AfD. Eine Teilnehmerfrage lautete, ob es ähnliche Mechanismen in anderen EU-Staaten gebe. Packroff verwies auf den "Cordon Sanitaire" im Europäischen Parlament, der rechtsextreme Parteien weitgehend von Entscheidungsprozessen ausschließe. "Während in Deutschland die Brandmauer stark diskutiert wird, gibt es in anderen Ländern bereits Koalitionen mit rechten Parteien – in Italien, den Niederlanden oder Ungarn etwa", erklärte er. Besonders in Polen werde die AfD mit Sorge betrachtet, da sie nationalistische Tendenzen und eine russlandfreundliche Haltung in der Vergangenheit vertreten habe.

 

“Europa ist keine abstrakte Idee, sondern ein konkreter Handlungsraum, der von Deutschland mitgestaltet wird”

 

Die interaktiven Umfragen des Abends zeigten, dass europäische Fragen für viele Teilnehmende eine entscheidende Rolle bei ihrer Wahlentscheidung spielen. Während in Deutschland häufig innenpolitische Debatten dominieren, hat die Bundestagswahl weitreichende Auswirkungen auf die gesamte EU – insbesondere in wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Fragen.

Die Expert:innen appellierten an die Teilnehmenden, sich aktiv mit der europäischen Dimension der Wahl auseinanderzusetzen. "Europa ist keine abstrakte Idee, sondern ein konkreter Handlungsraum, der von Deutschland mitgestaltet wird", betonte Süß. Jasiński unterstrich die Notwendigkeit einer stärkeren europäischen Zusammenarbeit, während Packroff darauf hinwies, dass viele europäische Herausforderungen nur gemeinsam gelöst werden können.

 

Falls Sie den Bürgerdialog zur Bundestagswahl 2025 verpasst haben, können Sie die Diskussion in voller Länge auf unserem YouTube-Kanal nachschauen. Klicken Sie hier, um direkt zum Video zu gelangen!

Der Bürgerdialog wurde organisiert von der Europa-Union Deutschland e.V. und gefördert durch das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung. 

Bericht: Europa-Union Deutschland