„Wir sprechen heute Abend über nichts Geringeres als die Zukunft des europäischen Projekts“, sagte EUD-Generalsekretär Christian Moos zum Auftakt des Bürgerdialogs. Europa sei nach vielen Jahren krisenhafter Entwicklung nach wie vor in einer schwierigen Lage. Zwar gäben die letzten Wahlen und die Wirtschaftszahlen der Eurozone Anlass für Optimismus. Dennoch dürfe man sich nicht zurücklehnen. „Die politischen Entscheider müssen den Dialog mit den Bürgerinnen und Bürgern suchen, um die richtigen Weichenstellungen für eine gute Zukunft vorzunehmen. Wir als überparteiliche Europa-Union sind dazu da, diesen Dialog nachhaltig zu stützen. Zu diesem Zweck veranstalten wir diese Bürgerdialogreihe“, so Moos. „Es geht gerade um sehr viel, wenn nicht um alles in Europa“, betonte auch Landtagspräsidentin Britta Stark. „Wir müssen unser europäisches Haus nicht nur sturmsicher, sondern zukunftssicher machen und die Krise als Chance für einen Neubeginn nutzen“, so die Abgeordnete. Die Erklärung von Rom und das Weißbuch der Europäischen Kommission seien dafür ein Anfang.
Das Weißbuch der Kommission versteht Oliver Portoff aus dem Auswärtigen Amt vor allem als Denkanstoß. Auch im Bundestagswahlkampf zeige sich, dass Europa ein Thema sei. „Wir wollen ein starkes Europa und mehr Europa“, sagte Portoff. Als Beispiel nennt er die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten im Bereich Sicherheit. Die weitere Diskussion zeigte, dass gerade bei den großen Themen gemeinsame europäische Lösungen auf der Hand liegen. Bei den Weltklimaverhandlungen sei es ein wirklicher Vorteil gewesen, dass Europa mit einer Stimme gesprochen habe, berichtet Patrick Lobis von der Europäischen Kommission. Kein einzelnes Land hätte es geschafft, das Gewicht in den Verhandlungen zu haben, das die EU als Ganzes hatte, so Lobis. Einig waren sich die Diskussionsteilnehmer, dass sich in der Europa-Debatte nicht zuletzt durch die Brexit-Entscheidung und die Politik Donald Trumps etwas geändert habe. „Gerade bei den jungen Menschen gibt es sehr viel positive Europastimmung“, sagte der Landtagsabgeordnete Marco Büchel. „Mit ihnen müssen wir darüber sprechen, wie sie sich die europäische Gemeinschaft vorstellen und den positiven Schwung mitnehmen“, so Büchel.
Großen Raum nahm in der Diskussion auch die europäischen Standards in den Bereichen Arbeit und Soziales ein. Das Publikum brachte viele persönliche Erfahrungsberichte ein, beispielsweise zur Frage der Vergleichbarkeit von Berufsabschüssen in Europa. Ein Teilnehmer regte an, sich bei der Anerkennung mehr vom Prinzip der Gleichwertigkeit als dem der Gleichheit der Abschüsse leiten zu lassen, um die Hürden für die Arbeit in einem anderen EU-Land zu verringern. „Wir haben von dem Bologna-Prozess profitiert“, berichtet Erik Ryll, Personalleiter bei Rolls-Royce. Die Vergleichbarkeit von Bachelor- und Master-Abschlüssen in Europa sei ein riesiger Vorteil, so Ryll. Mit Blick auf den aktuellen Fachkräftemangel in Brandenburg erinnerte die frühere Justiz- und Europaministerin Barbara Richstein daran, dass die Menschen nach dem EU-Beitritt Polens 2004 vehement gegen die Arbeitnehmerfreizügigkeit gewesen seien und daher in vielen Ländern Sperrfristen eingeführt wurden. „Viele kluge Köpfe sind an Brandenburg vorbeigezogen nach Skandinavien oder Großbritannien“, so Richstein.
Dass die sozialen Standards Ausdruck europäischer Werte sind, darin sind sich Publikum und Podiumsgäste einig. „Wir werden die Wertegemeinschaft nicht erhalten, wenn wir nicht gewisse Standards für alle garantieren können“, brachte es eine Teilnehmerin auf den Punkt. „Es kommt nicht zum Wettbewerb um die besten Köpfe, sondern zu einem Wettbewerb der Schlechterbezahlung“, sagt Astrid Hollmann, Vize-Vorsitzende des dbb beamtenbund und tarifunion. Was Europa dagegen tun könne, sei Mindeststandards festzulegen. Deutlich wird in der Debatte aber auch, dass die Verantwortung für ein funktionierendes System nicht allein in den Händen der Politik liegt. „Wir Gewerkschaften wünschen uns, dass sich die Menschen organisieren und mitmachen, wie auch die Politik sich wünscht, dass die Menschen im Land mitbestimmen“, sagte Astrid Hollmann. „Wenn man unzufrieden ist, sagt man oft „die da oben“ müssten etwas tun. Oft sind es aber wir da unten, die etwas ändern können“, so Hollmann. Auch der Unternehmensvertreter Erik Ryll sieht das so. „Nicht alles kann von der Politik geregelt werden. Wir alle sind in unseren Rollen gefragt“, so Ryll mit Blick auf die Verantwortung der Tarifpartner. „Organisieren Sie sich, ob in einer Partei oder einer Gewerkschaft“, legte daher auch Barbara Richstein dem Publikum ans Herz.
Zum Abschluss des Abends fassten Vertreter des Landesschülerrates Brandenburg und des Europäischen Jugendparlamentes die Diskussionen zusammen, die in zwei parallelen Themenräumen stattfanden, bewerteten die Debatten und stellten im Plenum die Ergebnisse vor.
Wolfgang Balint, Vorsitzender der Europa-Union Brandenburg und des Potsdamer Kreisverbandes, dankte dem Publikum für die rege Beteiligung und rief dazu auf, sich weiter in die Debatte einzubringen. „Sagen Sie Ihre Meinung, denn nur so wird Europa lebendig. So können wir gemeinsam die Zukunft Europas in die Hand nehmen und der Politik sagen, was wir gut finden an Europa, aber auch, was dringend geändert werden sollte“, so Balint.
Der Bürgerdialog ist Teil einer bundesweiten Reihe der überparteilichen Europa-Union Deutschland. Kooperationspartner in Potsdam waren der Landtag Brandenburg, die Potsdamer Neuesten Nachrichten, die Europa-Union Brandenburg, ihr Kreisverband Potsdam und Potsdam-Mittelmark sowie die Junge Europäische Bewegung Berlin-Brandenburg.