Eva Weber, zweite Bürgermeisterin der Stadt Augsburg, und Markus Ferber, Vorsitzender der Europa-Union Bayern, eröffneten den Bürgerdialog. In der einführenden Podiumsdiskussion ging es um die Auswirkungen der Flüchtlingssituation auf den Schengenraum.
„Wir machen uns große Sorgen um den Zusammenhalt in der Europäischen Union“, sagte Anton Hofreiter, Fraktionsvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen im Deutschen Bundestag, mit Blick auf die Grenzschließungen innerhalb der EU und die Uneinigkeit der Mitgliedstaaten in der Flüchtlingspolitik. Er erinnerte daran, dass das Prinzip der Solidarität nicht nur dann gelte, wenn man selbst davon profitiere, sondern auch dann, wenn man Solidarität üben müsse. Wenn die Türkei mit 90 Millionen Einwohnern zwei Millionen Flüchtlinge unterbringe, die EU mit einer halben Milliarde Einwohner sich aber nicht einmal in der Lage sehe, ein bis zwei Millionen Geflüchtete aufzunehmen, wo blieben da die europäischen Werte, fragte Hofreiter.
Es sei eine große Errungenschaft gewesen, in den 90er Jahren Grenzkontrollen in der EU abzubauen, unterstrich der CSU-Europaabgeordnete Markus Ferber. Viele hätten die Grenzkontrollen am Brenner noch selbst erlebt und Wirtshausnamen wie „Zollhaus“ erinnerten daran, dass es sogar innerhalb Bayerns in der Vergangenheit einst Grenzen gegeben habe. „Offene Grenzen im Schengenraum funktionieren nur, wenn wir an den Außengrenzen kontrollieren“, sagte Ferber.
„Es kann nur ein grenzenloses Reisen im Schengenraum geben, wenn die Außengrenzen gesichert sind“, sagte auch Jörg Bentmann vom Bundesinnenministerium. Dabei bedeute Sicherung nicht Abschottung, stellte Bentmann klar. Es müsse aber überprüft werden, wer einreise. Die derzeitigen Grenzkontrollen innerhalb der EU seien eine Anwendung von Schengenregeln, die temporäre Grenzschließungen erlaubten, erklärte Bentmann.
Matthias Oel von der Generaldirektion Inneres und Migration der Europäischen Kommission stellte die neuen Vorschläge der Kommission zur Reform des Dublin-Systems vor. Vorgesehen seien unter anderem ein Korrekturmechanismus für die Zuteilung von Geflüchteten, der die Größe und den relativen Wohlstand der Länder berücksichtige, sowie Ausgleichszahlungen von Mitgliedstaaten, die keine Flüchtlinge entsprechend des Umverteilungsschlüssels aufnehmen wollten.
Die Debatte über Schengen und die gemeinsame europäische Flüchtlingspolitik wurden später in drei Themenräumen mit dem Publikum weiter vertieft. Dabei wurde deutlich, dass auch das Publikum überzeugt ist, dass Schengen erhalten bleiben müsse.
Im ersten Raum mit Markus Ferber, Matthias Oel und Matthias Schopf-Emrich von der Diakonie Augsburg wurde unter anderem die Zusammenarbeit mit der Türkei in der Flüchtlingspolitik kritisch beleuchtet sowie über die Notwendigkeit der Bekämpfung von Fluchtursachen diskutiert.
„Bis wir dahin kommen, dass wir die Fluchtursachen bekämpft haben, ist es ein langer Weg“, gab Schopf-Emrich zu bedenken. Die Frage sei, was bis dahin geschehe. Es sei wichtig, sich um die vielen Flüchtlinge zu kümmern, die nicht in Europa aufgenommen würden, deren Fluchtrouten zu kennen und auch dort für Flüchtlingsschutz zu sorgen. Er forderte zudem ein Monitoring, das neue Fluchtursachen wie Dürren und Konflikte rechtzeitig identifiziere.
Um grenzüberschreitende Zusammenarbeit in den Bereichen Kriminalität und Terrorabwehr ging es im Themenraum mit Jörg Bentmann, dem stellvertretenden Bundesvorsitzenden der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG) im dbb Michael Hinrichsen und dem Bundestagsabgeordneten Anton Hofreiter. Aus dem Publikum kam die Forderung, stärker gegen organisierte Kriminalität und Steuerhinterziehung vorzugehen, da diese dem Staat finanzielle Mittel vorenthielten und ein Teil des gewaschenen Geldes in neue kriminelle Aktivitäten und die Terrorfinanzierung flösse. Michael Hinrichsen erklärte, dass die Polizei in den letzten Jahren viele neue Aufgaben hinzubekommen habe. So müsse der Bereich der Internetkriminalität von Beamten abgedeckt werden, die sonst anderswo eingesetzt würden. Auch der Zuzug von Flüchtlingen habe die Situation noch einmal geändert, sagte Hinrichsen mit Blick auf die vielen Anschläge auf Flüchtlingsheime und auf Konflikte unter den Geflüchteten. Vor diesem Hintergrund sprach sich Hinrichsen für mehr Stellen aus.
Ein weiterer Themenraum widmete sich dem Thema Integration. Michael Griesbeck, Vizepräsident und Amtschef des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge, berichtete darüber wie sich die Situation seit dem letzten Jahr verändert habe. Habe es früher eine Schutzquote von 20 bis 30 Prozent gegeben, seien 2015 50 Prozent der Antragsteller Asyl oder der Flüchtlingsstatus gewährt worden, im März dieses Jahres sogar 60 Prozent. So würden Integrationskurse nun häufiger von Geflüchteten wahrgenommen, während in früheren Jahren auch ein hoher Anteil an EU-Bürgern, die in Deutschland Arbeit suchten, unter den Teilnehmern war. Bei den Integrationskursen solle künftig der Spracherwerb von Beginn an mit Praktika kombiniert werden, um die Potenziale der Menschen möglichst früh zu erkennen.
John F. Schilling von der Bundesvereinigung Deutscher Arbeitgeberverbände berichtete von den Initiativen deutscher Betriebe für die Integration von Flüchtlingen in den Arbeitsmarkt. Sein Verband wolle die Verbreitung erfolgreicher Konzepte und Projekte fördern und erarbeite daher zurzeit eine Sammlung von Best-Practice-Beispielen, die Unternehmen vor Ort umsetzen könnten.
Markus Schlimbach, stellvertretender Vorsitzender des DGB Sachsen, stellte die Arbeit seiner Gewerkschaft zum Thema Migration vor. Es ginge darum, in den Betrieben Offenheit für ausländische Kollegen zu schaffen und Populismus mit Fakten zu begegnen. Dabei ginge es inzwischen nicht mehr nur um Arbeitnehmer aus den neuen EU-Staaten sondern auch um Flüchtlinge. Zum einen berate der DGB ausländische Arbeitnehmer zu ihren Rechten. Zum anderen kläre er auch in den Betrieben und bei Projekttagen mit Auszubildenden verstärkt über die Situation von Flüchtlingen auf, um falsche Gerüchte auszuräumen.
Das Publikum brachte sich in die Diskussion in den Themenräumen intensiv ein und bereicherte die Diskussion um viele eigene Standpunkte und Erfahrungen.
Thorsten Frank, Vorsitzender der Europa-Union Augsburg, zog eine positive Bilanz des Abends. Durch seine Beteiligung am Bürgerdialog habe das Publikum sich für das „Miteinander“ entschieden und ein positives Zeichen in Augsburg gesetzt, so Frank.
Der Augsburger Bürgerdialog wurde von der Europa-Union Deutschland in Zusammenarbeit mit der Europa-Union Augsburg, den Jungen Europäischen Föderalisten Augsburg und dem Europabüro der Stadt Augsburg veranstaltet. Er ist Teil einer bundesweiten Reihe der Europa-Union Deutschland. Der nächste Bürgerdialog „Europas Grenzen“ findet am 26. Mai in Hamburg statt.
Das vollständige Programm finden Sie hier.
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