Rendezvous mit Europa: Bürgerdialog am 7. Dezember in Dresden

Ein voller Saal, hochkarätige Referenten und ein engagiertes Publikum: Mit dem Bürgerdialog im Stadtmuseum in Dresden fand die Reihe „Und jetzt, Europa? Wir müssen reden!“ am 7. Dezember einen gelungenen Abschluss. Die rund 130 Teilnehmenden nutzten ausgiebig die Gelegenheit ihre Fragen und Themen mit dem Vertreter der Europäischen Kommission in Deutschland, Richard Kühnel, dem sächsischen Europaminister Dr. Fritz Jaeckel, dem Europaabgeordneten Peter Jahr und weiteren interessanten Gesprächspartnern zu diskutierten. Die Resonanz zeigt: Das Format kommt an! Im nächsten Jahr werden die Bürgerdialoge deshalb in eine neue Runde starten.

Einstiegspanel beim Bürgerdialog mit Valerio Morelli, Olaf Kische und Richard Kühnel. Foto: Frieder Unselt

„Europa ist ein Werk, das immer aufs Neue diskutiert und neu erfunden wird“, sagte Katharina Wolf, Landesvorsitzende der Europa-Union Sachsen, zum Auftakt des Bürgerdialogs. Mit den verschiedenen europäischen Verträgen habe sich die die EU Schritt für Schritt entwickelt und auch heute müsse wieder die Frage beantwortet werden: „Was für ein Europa wollen wir?“

„Viele der großen europäischen Fragen wie Migration, Sicherheit, Klimawandel oder Digitalisierung beschäftigen uns auch lokal“, betonte Dresdens Oberbürgermeister Dirk Hilbert in seiner Begrüßung. Er habe daher im Oktober zu einer europäischen Konferenz der Bürgermeister nach Dresden eingeladen, die zahlreiche interessante Anregungen aus anderen Städten gebracht habe. „Wie viel Positives wir von der EU bekommen haben, ist uns oft nicht bewusst“, sagte Hilbert. Dabei seien seit der Wende viele Neueröffnungen und Projekte dank EU-Förderung realisiert worden. Für 2025 hat Dresden große Pläne: Die Landeshauptstadt möchte Europäische Kulturhauptstadt werden.

Der Bürgerdialog startete mit einem einführenden Input zur Frage „Wohin mit Europa?“. Anschließend konnte das Publikum in zwei Themenräumen mit Experten diskutieren. Moderiert wurde der Bürgerdialog von Olaf Kische vom Mitteldeutschen Rundfunk und Mareen Hirschnitz von der Europäischen Bewegung Deutschland.

Richard Kühnel stellte die fünf Szenarien zur Zukunft der EU vor, die EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker als Debattenauftakt im Frühjahr präsentiert hatte. Als Vertreter der Kommission in Deutschland sei es seine Aufgabe, dem Kommissionspräsidenten politisch Bericht über die Resonanz der Initiativen der EU in Deutschland zu erstatten. Dabei interessiere nicht nur die Haltung der Kanzlerin und der Bundesregierung, sondern auch die Meinung der Menschen. „Deshalb sind Bürgerdialoge wie dieser ein ganz wichtiges Rückkopplungsinstrument“, so Kühnel.

Valerio Morelli aus der Europaabteilung des Auswärtigen Amtes berichtete von den Hintergründen der EU-Zukunftsdebatte. Der Brexit sei ein Weckruf gewesen. Als Antwort darauf sei die Diskussion über die gemeinsame Zukunft in der EU gestartet worden. „Auf der anderen Seite sehen wir durch den Brexit auch eine Stärkung der europäischen Idee“, so Morelli. Durch die Verhandlungen werde deutlich, was den Wert der EU ausmache. Außerdem zeige sich, wie schwierig es für Großbritannien ist, mit einer starken EU zu verhandeln. „Die Europäer sind nicht nur durch eine Schicksalsgemeinschaft verbunden, sondern auch durch gemeinsame Werte: Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie“, erinnerte Morelli. Diese Interessen und Werte zu vertreten und das Erreichte in der Welt von morgen zu sichern, könne auch das größte Land in Europa nicht alleine schaffen. Dies seien wichtige Argumente für die EU.

„Wir brauchen eine neue Idee und eine neue Aufbruchsstimmung“, sagte der Landtagsabgeordnete Harald Baumann-Hasske. „Die EU ist zustande gekommen aus einem Bedürfnis nach Frieden, Wohlstand und sozialer Sicherheit.“ Dies sei offensichtlich inzwischen zu normal geworden. Alle hätten sich daran gewöhnt. Zwar gebe es Bereiche, wo die EU zu viele Kompetenzen erhalten habe. Hier müsse geschaut werde, ob diese national oder regional besser geregelt werden könnten. Er selbst tendiere aber zu viel mehr Europa. Er zitierte Martin Schulz, der auf dem SPD-Parteitag am Vormittag die Vereinigten Staaten von Europa gefordert hatte. Dies sei zwar ein langfristiges Projekt, aber „kompetenzmäßig brauchen wir etwas staatsähnliches. Solche Ideen müssen wir verfolgen“, betonte Baumann-Hasske.

Auch Dr. Fritz Jaeckel, Staatsminister für Bundes- und Europaangelegenheiten, sprach sich dafür aus, sehr stark darauf zu achten, das Subsidiaritätsprinzip mit Leben zu füllen. Europapolitiker könnten nicht immer absehen, was Vorgaben von europäischer Ebene in der Praxis für die Kommunen und Wirtschaftsunternehmen bedeuteten. „Auf der anderen Seite gibt es Politikfelder, in denen Europa weiter voranschreiten muss“, so der Chef der Staatskanzlei. Bei einer solch starken Form der Zusammenarbeit, wie sie die EU darstelle, gebe es kein zurück. „Wir sollten es als eine Freude begreifen, Europa in diese Zukunft zu entwickeln“, betonte der Staatsminister.

„Eigentlich haben wir Europa alles zu verdanken“, sagte ein Publikumsgast. Was ihn umtreibe sei die pessimistische Stimmung, wenn über Europa gesprochen werde. Er wünsche sich, dass man die Menschen wieder für Europa begeistere, denn es sei ein „Europa der Menschen“.

Auch die EU-Agrarpolitik war Diskussionsgegenstand. Der Europaparlamentarier und Landwirt Dr. Peter Jahr erläuterte, die EU-Landwirtschaftspolitik sei in einer Zeit ins Leben gerufen worden, in der die europäischen Länder von Nahrungsmittelimporten abhingen. Durch Reformen wurde die Agrarpolitik über die Jahrzehnte umweltfreundlicher und der Anteil am EU-Budget von vormals 80 auf heute 40 Prozent reduziert. „Die EU-Richtlinien erreichen den Landwirt direkt. Er muss sich an die Vorgaben halten“, erklärte Jahr. Zum Jahresende erhielten die Landwirte die EU-Direktzahlungen. „Im Dezember sind die Landwirte glühende Europäer“, scherzte Jahr. Bei den Umweltprogrammen für die Landwirtschaft sei auch das Land stark eingebunden. „Die EU macht die Überschriften, Sachsen macht die Programme“, so Jahr.

Markus Schlimbach, stellvertretender Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbundes Sachsen, gab zu bedenken, dass nur noch 2 % der Bevölkerung in der Landwirtschaft arbeiteten. „Landwirtschaft ist heute ein hochindustrielles und hocheffizientes Gebilde“, so Schlimbach. Die meisten Arbeitnehmer seien Saisonarbeitskräfte, meist aus Osteuropa. Teilweise seien die Arbeitsbedingungen für diese Menschen nicht besonders günstig.

Das Publikum interessierte sich auch für die Arbeit einer Lobbyorganisation wie des DGB oder des Verbands der Chemischen Industrie (VCI) und wollte wissen, wie Gewerkschaften europaweit zusammenarbeiten. In der Diskussion wurde deutlich, dass Interessensvertretung im politischen Prozess aufgrund seiner fachlichen Dimension eine wichtige Rolle spielt. „Gewerkschaften haben immer versucht, sich international auszurichten“, sagte Schlimbach. In Sachsen gebe es seit 25 Jahren eine enge Zusammenarbeit mit tschechischen Gewerkschaften. Schwierig seien hingegen europaweite Tarifverhandlungen aufgrund der unterschiedlichen Stärke der Gewerkschaften.

Dr. Utz Tillmann vom VCI wies darauf hin, dass es in Europa große Unterschiede in den Kulturen und Produktionsbedingungen gebe. Aufgrund unterschiedlicher Lebensbedingungen variierten die Stundenlöhne in der Chemie zwischen 60 Euro in Belgien und 10 Euro in Tschechien. Auch bei der Gewerbesteuer gebe es große Unterschiede, so verlange Deutschland 30 Prozent, Irland hingegen nur 12 Prozent. Deutschland habe allerdings trotz hoher Steuern und Arbeitskosten einen entscheidenden Vorteil. Neben sehr gut ausgebildeten Arbeitskräften seien die großen Unternehmen flankiert von mittelständischen Zulieferern. „Dieses Netzwerk gibt es nirgends sonst auf der Welt, und das macht den Erfolg aus“.

Ein Teilnehmer zeigte sich ernüchtert von der geringen Wirkung der Jugendgarantie, die die Jugendarbeitslosigkeit in Südeuropa senken sollte und für die die EU sechs Milliarden Euro bereitgestellt hatte. Markus Schlimbach sagte, dass mehr Geld und eine längere Laufzeit nötig gewesen wären. Außerdem seien die Ausbildungssysteme sehr unterschiedlich und nicht leicht zu exportieren. So gebe es in den meisten Ländern eine Trennung zwischen schulischer Ausbildung und Betriebswirklichkeit. Dr. Utz Tillmann ergänzte, dass die duale Ausbildung nach deutschem Vorbild auch deshalb nicht übernommen werde, weil beispielsweise die spanischen Unternehmen nicht die Kosten für die betriebliche Ausbildung tragen wollten. Die Investitionskosten seien bei einer Systemumstellung sehr groß.

Verbesserungsbedarf wurde auch bei der Anerkennung von Ausbildungsabschlüssen ausgemacht. Erfahrungen bei der grenzüberschreitenden Ausbildung zwischen Sachsen und Tschechien zeigten, dass es nach wie vor große Schwierigkeiten gebe.

Ein Teilnehmer fragte kritisch, ob die Transferunion im Sinne der Bürger sei. Ein anderer zeigte sich besorgt über die die mangelnde politische Europabildung. Die Bürger hätten oft den Eindruck, „die ärmsten und letzten“ zu sein. Er wünsche sich mehr Ehrlichkeit in der Debatte.

„Politiker schimpfen oft auf die EU, weil jeder zeigen will, dass er der tollste Frosch im Teich ist“, bestätigte Dr. Peter Jahr. Dabei kenne er keine europäische Richtlinie, die gegen den erklärten Willen Deutschlands oder Frankreichs verabschiedet wurde. Immer seien Kompromisse gefunden worden. „Wir sind eben ein Bestandteil der EU“, so Jahr. Oft gebe die EU nur Mindestforderungen vor, die die Mitgliedstaaten dann übernehmen oder ausweiten könnten. „Die meisten Gesetze haben einen europäischen Ursprung, bei der Bürokratie bin ich mir nicht ganz sicher“, so der Europaparlamentarier verschmitzt.

Die Europa-Union Landesvorsitzende Katharina Wolf zog eine positive Bilanz des Bürgerdialogs und lud das Publikum ein, mit Europa-Union und den Jungen Europäischen Föderalisten im Gespräch zu bleiben und das Veranstaltungsangebot der beiden Vereine zu nutzen.

Den Dresdner Bürgerdialog veranstaltete die überparteiliche Europa-Union Deutschland in Zusammenarbeit mit der Landeshauptstadt Dresden, der Europa-Union Sachsen und den Jungen Europäischen Föderalisten Sachsen.