Christian Moos, Generalsekretär der Europa-Union Deutschland, und Birgit Grundmann, Vorstands-bevollmächtigte Politik und Regulierung der Allianz Deutschland, eröffneten den Bürgerdialog. Moos erklärte, die überparteiliche Europa-Union habe nicht einfach nur mehr Transparenz fordern wollen. „Wir haben uns gefragt, was wir selbst leisten können, um zu mehr Transparenz in diesem politischen Prozess beizutragen. Unsere bundesweite Bürgerdialogreihe ist die Antwort.“ Der Generalsekretär kündigte an, die Europa-Union werde auch 2016 mit einer „Wir müssen reden“ – Reihe im Land unterwegs sein. Birgit Grundmann sagte, in der aktuellen Debatte gebe es ein Spannungsfeld zwischen ökonomischen Vorteilen, dem technischen Inhalt des Abkommens und der tiefgreifenden Besorgnis, die TTIP auslöse. Dieses könne nur im Dialog aufgelöst werden.
„Deutschland ist das Land, das am meisten von TTIP profitieren wird“, sagte Cecilia Malmström. Weiterhin gelte das Ziel, die TTIP-Verhandlungen bis zum Ende der Präsidentschaft von Barack Obama im Dezember 2016 abzuschließen. Auf die Frage, inwiefern man den Kritikern des Abkommens entgegengekommen sei, verwies die EU-Kommissarin unter anderem auf die Reform der ursprünglich geplanten Schiedsgerichte hin zu einem internationalen Investitionsgericht sowie auf die Einrichtung von Leseräumen, in denen Parlamentarier und Regierungsmitglieder die konsolidierten Texte einsehen könnten. Jede Verhandlung brauche einen gewissen Grad an Vertraulichkeit, gab Malmström zu bedenken. Daher könnten die konsolidierten Texte nur den Parlamentariern und nicht der Allgemeinheit zur Verfügung gestellt werden.
„Es ist gut, dass nicht Deutschland, sondern die EU verhandelt“, betonte der Bundestagsabgeordnete und Koordinator der Bundesregierung für die transatlantische Zusammenarbeit Jürgen Hardt. So würde das ganze Gewicht des europäischen Binnenmarktes in die Waagschale geworfen. Würden die Staaten einzeln verhandeln, hätten sie eine schwächere Position, so Hardt. Er erinnerte daran, dass die Hauptkontrollaufgabe beim Europäischen Parlament liege, das von der Kommission stark involviert werde. Es sei ein bedeutender Fortschritt, dass nun nicht nur Regierungsvertretern sondern auch Parlamentarier die konsolidierten Texte einsehen dürften. Generell sei es aber notwendig, dass zwischen den Verhandlungspartnern Einvernehmen über diese Frage hergestellt werde.
Aus dem Publikum kam die Forderung nach der Veröffentlichung der konsolidierten Texte, damit sich Bürger und Vertreter der Zivilgesellschaft selbst ein Bild machen könnten, ob ihre Befürchtungen berechtigt seien oder nicht. Auch wurde die Sorge geäußert, dass Standards durch TTIP wenn auch nicht gesenkt, so doch auch nicht mehr einfach erhöht werden könnten.
Jürgen Maier vom Bündnis TTIP Unfairhandelbar kritisierte in seinem Kommentar die Art und Weise, in der das Verhandlungsmandat zustande gekommen sei und forderte die Kommission auf: „Fangen Sie einfach neu an! Reden Sie mit den Menschen, bevor Sie ein Verhandlungsmandat schreiben!“ Wenn man nach einer breiten öffentlichen Diskussion ein Mandat habe, in dem gesellschaftliche Prioritäten festgeschrieben seien, und das in einem transparenten öffentlichen Prozess vom Parlament verabschiedet würde, würde die Gesellschaft das Verhandlungsmandat auch akzeptieren.
„Wozu noch mehr Handelsabkommen, uns geht’s doch gut?“ Unter diesem Titel stellten sich der liberale Europaabgeordnete Alexander Graf Lambsdorff und der grüne Bundestagsabgeordnete Gerhard Schick der Diskussion mit dem Publikum.
Schick kritisierte, dass es bereits zu viele Handelsabkommen gebe: „Wir brauchten ein weiteres Fortschreiten im multilateralen Handelsbereich, Stichwort Doha-Runde, um wirklich faire Handelsbeziehungen für alle Länder zu haben.“ Er sei überzeugt, dass TTIP in seiner Gesamtbilanz mehr schaden als nutzen würde, insbesondere wenn der Investitionsschutz mit aufgenommen würde. Dieser würde die Gesellschaft in eine schwächere Position bringen als die Industrie.
Graf Lambsdorff erinnerte daran, dass Europa noch lange noch nicht die Wirtschafts- und Sozialkrise überwunden habe und es besonders in Südeuropa hohe Arbeitslosigkeit gebe. Deshalb seien Wachstumsprogramme notwendig, die die Staatshaushalte nicht belasteten. Die Öffnung von Märkten für europäische Produkte sei ein solches Wachstumsprogramm, das keine Schulden nach sich ziehe. Den Verbraucherschutz sieht Lambsdorff durch TTIP nicht in Gefahr. Medikamentenzulassungen seien in den USA beispielsweise viel anspruchsvoller als in Europa. „Wir sollten die Standards der Amerikaner, dort wo sie hoch sind, für uns übernehmen“, forderte der Europaparlamentarier.
„Die TTIP-Verhandlungen sind die transparentesten Verhandlungen, die es jemals zu einem Freihandelsabkommen gegeben hat“, unterstrich Matthias Machnig, Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium. Sein Ministerium habe sich besonders dafür eingesetzt, dass die Leseräume für die konsolidierten Texte nicht im Ministerium, sondern direkt im Bundestag eingerichtet würden. Machnig betonte, dass es bei den Verhandlungen mit den USA ein höheres Maß an Transparenz gegeben habe als es bei Koalitionsverhandlungen jemals der Fall gewesen sei.
„Es reicht nicht, dass die konsolidierten Texte nur Abgeordneten zugänglich gemacht werden“, widersprach Pia Eberhard vom Corporate Europe Observatory. Das Abkommen werde für immer Bestand haben und in sehr vielen Bereichen gelten. Deshalb sei es wichtig, dass die unterschiedlichen Entwürfe öffentlich zugänglich gemacht würden. Kritisch sieht Eberhardt auch die regulatorische Kooperation, da sie Unternehmen mehr Einfluss ermögliche. Formal würden Parlamente zwar nicht entmachtet, jedoch gäbe es einen längeren Weg mit mehr Einfluss- und Verzögerungsmöglichkeiten bis Entwürfe auf den Tisch eines Parlamentariers gelangten. Es bestünde die Gefahr, dass Demokratie marktkonform gemacht würde.
Ob TTIP eine Gefahr für das soziale Europa darstelle, diskutierten Reiner Hoffmann, Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbunds, und Reinhold Festge, Präsident des Verbands Deutscher Maschinen- und Anlagenbaus. „Die Gewerkschaften sind nicht gegen TTIP, aber die Bedingungen müssen stimmen“, unterstrich Hoffmann. Er forderte, dass sich die EU und die USA auf hohe Arbeits-, Sozial- und Umweltstandards verständigen müssten. Er betonte vor allem, dass die USA sechs der acht Kernarbeitsnormen der internationalen Arbeitsorganisation bislang nicht ratifiziert haben, darunter auch die Vereinigungsfreiheit und das Recht auf Kollektivverhandlungen. „Die Südstaaten sind tarifertragsfreie Zonen. Unternehmen bauen in Europa Arbeitsplätze ab, weil man dort keine Betriebsräte hat“, kritisierte Hoffmann.
Bei TTIP ginge es im Gegenteil darum, Arbeitsplätze in Europa zu halten, widersprach Reinhold Festge. Es sei ein Irrtum zu glauben, dass es wirtschaftlich immer weiter nach oben ginge. „Wir brauchen größere Märkte, die wir bedienen können“, sagte Festge. Gerade im Mittelmeerraum seien zuletzt Märkte weggebrochen. Eine Studie des VDMA habe ergeben, dass aufgrund der unterschiedlichen Regelungen zwischen den USA und der EU für Maschinenbauunternehmen der Export in die USA einen Kostenaufschlag von 19 Prozent bedeutete.
Sylvia-Yvonne Kaufmann, Mitglied im EUD-Präsidium und Vorsitzende der Europa-Union Berlin, sah in dem Berliner Bürgerdialog einen Informationsgewinn für alle Beteiligten. „Wir müssen mit einander reden und vor allem mehr zuhören!“, lautete das Fazit der Europaabgeordneten.
Den Berliner Bürgerdialog „TTIP wir müssen reden!“ veranstaltete die Europa-Union Deutschland mit Unterstützung der Allianz Deutschland. In die Diskussion brachten sich das Publikum mit zahlreichen Fragen und Statements ein. Moderiert wurde der Bürgerdialog von Anke Plättner (Phoenix) und Andreas Ulrich (rbb). Den Livestream der Veranstaltung finden Sie hier. Die Namen aller Beteiligten entnehmen Sie bitte im Programm.