3:0 für Transparenz: TTIP Bürgerdialog bei Bayer Leverkusen

Großes Interesse und Beteiligung auch beim dritten Bürgerdialog zum transatlantischen Freihandelsabkommen (TTIP) am 20. Januar in Leverkusen. Im Foyer des Bayer Kommunikationszentrums drängten sich die Gäste. Kamerateams und Lokalredakteure fingen die Stimmung ein und interviewten Referenten und Teilnehmer. Auch im Saal und den drei Themenräumen meldeten sich die Bürgerinnen und Bürger aus Leverkusen und Umgebung eifrig zu Wort. Investitionsschutz, Verbraucherstandards und demokratische Kontrolle wurden am intensivsten diskutiert.

Volles Haus beim TTIP-Bürgerdialog in Leverkusen. Mehr als 200 Bürgerinnen und Bürger folgten der Einladung der Europa-Union.

Inputdiskussion mit Bernd Lange MdEP, Moderator Sven Afhüppe (Co-Chefredakteur Handelsblatt), Matthias Heider MdB, Stefan Engstfeld MdL (v.l.n.r.)

Wolfram Kuschke, Landesvorsitzender der Europa-Union Nordrhein-Westfalen. Foto: Hansen

Viele Bürgerinnen und Bürger nutzten die Chance, ihre Fragen zu stellen und mit den Experten über TTIP zu diskutieren. Foto: Hansen

Stimmungsbild vor (rot) und nach (grün) der Veranstaltung. Foto: Europa-Union Deutschland

„Demokratie geht vom Volke aus. Dazu gehören Dialoge auf allen Ebenen mit größtmöglicher Transparenz“, unterstrich Bernhard Marewski, zweiter Bürgermeister der Stadt Leverkusen. Damit beschrieb er auch die Motivation der Europa-Union, die mit den Bürgerdialogen eine offene und faire Debatte zu diesem wichtigen und emotionsgeladenen Thema anstoßen und so zu mehr Transparenz beitragen möchte.

Ein transparenter Dialog ist auch im Sinne der Bayer AG, die die Europa-Union eingeladen hatte, den Leverkusener Bürgerdialog in ihren Räumlichkeiten zu veranstalten. „Als Industrie haben wir den Aufklärungsbedarf bei TTIP anfangs unterschätzt“, erklärte Denise Rennmann von der Bayer AG. Die Haltung des Chemiekonzerns zu TTIP ist eindeutig: „Bayer ist für den Freihandel“, unterstrich Rennmann. „Die USA sind einer unserer wichtigsten Märkte.“

Da zu einem offenen Dialog aber viele Meinungen gehören, waren zum Bürgerdialog neben gewählten Politikern auch Vertreter zahlreicher weiterer Institutionen und Verbände geladen, darunter das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi), Mehr Demokratie e.V., der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI), der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), das Institut der deutschen Wirtschaft Köln, die Verbraucherzentrale NRW, der Verband der Chemischen Industrie und der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB). „Wir freuen uns, dass wir ein so breites Spektrum an Partnern gewinnen konnten“, sagte Wolfram Kuschke, Vorsitzender der Europa-Union NRW.

Das Publikum wünschte sich zuerst eine Einführung in das Thema und den Stand der Verhandlungen durch den Referenten der Europäischen Kommission Lutz Güllner. Er erklärte den Verhandlungsprozess und unterstrich, dass das TTIP-Abkommen nur dann in Kraft treten könne, wenn die europäischen Regierungen und das Europäische Parlament dem Vertrag zustimmen. Unter Umständen müssten sogar die nationalen Parlamente über das Abkommen abstimmen. Mit Blick auf die Sorgen der Städte und Gemeinden stellte Güllner klar: „Die öffentliche Daseinsvorsorge steht nicht zur Disposition.“


Lutz Guellner (Europäische Kommission). Foto: Hansen

In einer kurzen Diskussionsrunde stellten gewählte Volksvertreter ihre Position zu TTIP dar. Der sozialdemokratische Europaabgeordnete Bernd Lange, Vorsitzender des Handelsausschusses und Berichterstatter für TTIP, nannte konkrete Beispiele, in denen Firmen aus der Region Mehrkosten entstünden, weil sie beim Export in die USA andere technische Normen beachten oder eine zweite Zertifizierung durchlaufen müssten. Trotz dieser Gründe für ein Freihandelsabkommen mit den USA sei es ihm aber wichtig, dass Regeln einführt würden, die das Wohlbefinden aller und nicht die Interessen einzelner förderten. Der CDU-Bundestagsabgeordnete Matthias Heider verwies darauf, dass Deutschland als exportorientierte Nation großes Interesse an einem Freihandelsabkommen mit den USA habe. „Der Impuls, den Freihandelsabkommen geben können, der ist aus der Geschichte unbestritten. Es gibt viele Abkommen, die eine positive Wirkung auf den Handel gehabt haben“, erinnerte Heider. Diesen Effekt würde man sich auch von einem Freihandelsabkommen zwischen den beiden größten Binnenmärkten erhoffen – der EU und den USA. Der Landtagsabgeordnete von Bündnis 90/Die Grünen Stefan Engstfeld möchte das TTIP-Abkommen nicht um jeden Preis. Handel sei zwar gut für die Belebung der Wirtschaft. Es müsse aber auch klare Grenzen und Regeln geben. Er habe kein Problem damit, wenn es darum ginge, technische Standards anzugleichen. Ein Freihandelsabkommen müsse aber „klare soziale und ökologische Leitplanken“ haben, so Engstfeld.

Die Diskussion wurde unter Beteiligung des Publikums in drei Themenräumen weitergeführt. Je nach persönlichem Interesse konnten die Bürgerinnen und Bürger zwischen den Bereichen Demokratie, Handel und Standards wählen. Viele Teilnehmer sorgten sich, dass die hohen europäischen Standards im Bereich Umwelt-, Arbeitnehmer- und Verbraucherschutz durch TTIP beeinträchtigt werden könnten. Damit seien sie nicht allein, sagte Bettina Cebulla von der Verbraucherzentrale NRW. „92 Prozent der Verbraucher wünschen sich keine Absenkung der Standards“, zitierte sie eine Umfrage von Infratest Dimap. Ihrer Meinung ist die Befürchtung der Menschen berechtigt. Dabei könnte man die TTIP-Verhandlungen auch dazu nutzen, sich auf das jeweils höchste Schutzniveau, den sogenannten „Goldstandard“ zu einigen. Geschehe dies nicht, würde das Freihandelsabkommen von den Verbrauchern mit einem hohen Preis bezahlt.


Themenraum 3 - Umwelt-, Arbeitnehmer- und Verbraucherschutz
(v.l.n.r.) Moderator Walter Brinkmann (EUD), Berend Diekmann
(BMWI), Reinhard Quick (Verband der chemischen Industrie), Bettina
Cebulla (Verbraucherzentrale NRW), Ernst-Christoph Stolper (BUND),
Florian Moritz (DGB). Foto: Hansen

Florian Moritz vom Deutschen Gewerkschaftsbund kritisierte, dass bei Handelsabkommen in der Vergangenheit vor allem auf Deregulierung gesetzt wurde. Der größte Fokus sei darauf gesetzt worden, den Marktzugang zu erleichtern. Bei einem neuen Freihandelsabkommen müsse dafür gesorgt werden, dass der Wettbewerb nicht zu Lasten der Arbeitnehmer, der Verbraucher und der Umwelt geschehe. Auch Ernst-Christoph Stolper vom Bund für Umwelt und Naturschutz gab zu bedenken: „Was dem einen sein Handelshemmnis, das ist dem anderen sein liebgewonnener ökologscher und sozialer Standard.“

Alexander Trennheuser von Mehr Demokratie e.V. kritisierte, dass die Europäische Kommission die "STOPP-TTIP"-Bürgerinitiative nicht zugelassen habe und forderte die Kommission auf, den Willen der Bürger zu berücksichtigen.


Themenraum 2 - Handel, Investition Wettbewerb - Jürgen Matthes
(Institut der deutschen Wirtschaft Köln), Sven Afhüppe, Stormy-Annika
Mildner (BDI), Stefan Engstfeld MdL, Matthias Heider MdB. Foto: Hansen

Auf die Frage, ob durch TTIP in Europa ähnliche Verhältnisse wie in den USA im Bereich der Kultur und der Daseinsvorsorge entstehen könnten, antwortete Berend Diekmann vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie, dass die Daseinsvorsorge in den Verhandlungen ausgenommen würden. Zum ebenfalls angesprochenen Thema der TTIP-Auswirkungen auf Entwicklungs-und Schwellenländer verwies er auf eine Studie, die das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit am 21. Januar vorstellen wird.

In der Diskussion um die wirtschaftlichen Auswirkungen von TTIP erklärte Stormy Mildner vom BDI, dass sich aufgrund des hohen Handelsvolumens zwischen den USA und der EU auch der Abbau bereits niedriger Zölle lohne. Die EU und USA handelten tagtäglich Güter im Wert von 2 Milliarden Euro miteinander. Allein die deutsche Automobilindustrie könne rund 1 Milliarde Euro im Jahr an Zöllen einsparen.

Einige Teilnehmer sorgten sich auch um die Sicherheit ihrer Daten vor dem Hintergrund der NSA-Überwachung. Hier bekräftigte der EU-Abgeordnete Lange: „Ohne eine zufriedenstellende Lösung, was den Datenschutz angeht, kann es kein gemeinsames Abkommen geben."


EUD-Generalsekretär Christian Moos. Foto: Hansen

„Es wird sehr viel abhängen vom Europäischen Parlament“, unterstrich Christian Moos, Generalsekretär der Europa-Union Deutschland. Als Bürgerkammer werde es die letzte Entscheidung über den TTIP Vertrag fällen. Er rief die Anwesenden auf, sich weiterhin in die gesellschaftliche Debatte und den politischen Prozess einzubringen und das Europäische Parlament in die Pflicht zu nehmen.

Die Europa-Union Deutschland veranstaltete den Bürgerdialog gemeinsam mit ihrem Landesverband NRW und ihrem Kreisverband Leverkusen. Der Abend zeigte einmal mehr, dass ein großer Informations- und Diskussionsbedarf zu TTIP besteht. Die Losung des Bürgerdialogs „TTIP – wir müssen reden!“ bleibt also weiterhin aktuell.

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